Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
Grundlagen ihres Glasmalerkönnens beigebracht.
Noch während ihm der leichte Weg zwischen seinen Füßen bewusst wurde, erkannte er die Torheit, dem nachzugeben. Immerhin war die Gefolgschaft für all den Schmerz verantwortlich, den die arme Morada erlitten hatte. Die Gefolgschaft hatte die Flammen ihres Konflikts mit Moradas Splittergruppe geschürt. Sie hatte die geheimen Kämpfe genährt, die Morenia zu zerspalten drohten.
Hätte es die Gefolgschaft nicht gegeben, wäre Morada nicht in geheime Kämpfe hineingezogen worden. Hätte es die Gefolgschaft nicht gegeben, wäre Morada noch am Leben, stünde noch neben ihm. Parion und Morada gemeinsam… Sie hätten inzwischen die reichste Gilde in ganz Morenia angeführt. Sie wären in ihrer Heimat gewesen, an der Macht, hätten ihre Schicksale kontrolliert.
Ohne den mit einem Umhang bekleideten Boten anzusehen, streckte Parion eine Hand zu seinem Tisch aus, zu dem makelbehafteten Wirbel aus schwarzem und klarem Glas, den Morada gefertigt hatte. Die Oberfläche fühlte sich unter seinen Fingerspitzen glatt an, so glatt wie ihre erinnerte Haut. Er breitete seine Handfläche auf der Oberfläche aus und konnte den Widerstreit in dem bearbeiteten Stück spüren, die Hitze des von dem schwarzen Glas absorbierten Sonnenlichts, den kühlen Frieden des klaren Glases.
Der Gefolgsmann unterbrach Parions Erinnerungen mit dem heiseren Grollen einer geräusperten Kehle. Ein raues Flüstern durchschnitt den Raum. »Also werdet Ihr sie prüfen. Aber Ihr werdet auf unsere Entscheidung warten, ob sie die Prüfung besteht. Ihr werdet darauf warten, dass wir ihr Schicksal beschließen, bevor Ihr Eure Meinung zu ihrer Zukunft äußert.«
»Und wenn ich das nicht tue?« Parion hätte darauf vorbereitet sein sollen, dass der Gefolgsmann handelte. Er hätte wissen müssen, dass jeglicher Hinweis auf Rebellion die mit einem Umhang versehene Gestalt verärgern würde. Er hätte erwarten sollen, dass die Gefolgschaft Mittel hatte, ihre Forderungen zu erzwingen.
Dennoch überraschte ihn die Schnelligkeit, mit der das Messer des Gefolgsmannes auftauchte. Die Klinge blitzte in der Sonne, blendete weiß, als das Licht von ihrer geschärften Schneide abstrahlte. Parion hatte keine Chance zurückzutreten, keine Chance nach seiner eigenen Waffe zu greifen, nicht einmal eine Chance, seine Haut zu schützen. Der Gefolgsmann setzte die blitzende Klinge mit absoluter Perfektion an, drückte die scharfe Kante in die feste Haut von Parions Handgelenk. »Ihr werdet auf die Gefolgschaft hören, Glasmaler. Ihr werdet zuhören, sonst werdet Ihr feststellen, dass für Euch nicht einmal eine liantinische Handprothese reichen wird. Ihr werdet zuhören, oder Ihr werdet den Preis bezahlen.«
Bevor Parion widersprechen konnte, zog der Gefolgsmann die Klinge über sein Handgelenk und hinterließ einen Streifen blutigen Rots. Die Wunde bestürzte Parion so sehr, dass er sie zunächst nur sehen konnte. Er konnte die Verletzung nicht spüren. Dann begann der Schnitt zu brennen, als hätte jemand die Ränder seiner Haut mit Salz bestreut.
Parion sog den Atem ein, biss sich auf die Lippen. Er verfluchte den Gefolgsmann und griff nach einem Tuch, irgendein Tuch, der schneeweiße Einband, die Moradas Medaillon geschützt hatte. Die alte Glasarbeit glitt vom Tisch, fiel auf die Holzbohlen und brach entzwei. Parion sah die beiden Stücke, und sein Herz verkrampfte sich, zog sich in seiner Brust zusammen, als wäre er in der Bleizange eines Glasmalers gefangen.
Während er erkannte, dass das Medaillon zerstört war, während ihm bewusst wurde, dass er den letzten Schatz verloren hatte, den Morada je gestaltet hatte, wickelte Parion das reine, weiße Leinen um seine Wunde. Der Stoff brannte auf dem Schnitt, wie der plötzliche Hass, der seine Sicht verschwimmen ließ. Er wurde nach Morenia zurückversetzt, in die Zeit zurück, bevor er Gildemeister war. Er erinnerte sich, von den Männern des alten Königs befragt worden zu sein, aufgefordert worden zu sein, die Verräterin preiszugeben. Er war damals täglich verletzt worden, war ausgeblutet, während er die Wahrhaftigkeit seiner Antworten beschwor.
Nun drückte er fest auf die Wunde, versuchte, das Blut gewaltsam zum Stoppen zu bringen. Die Finger seiner heilen Hand wurden feucht, und er musste das Leinen erneut falten, musste eine weitere Schicht auflegen, um die Blutung zu stillen. Gegen den stechenden Schmerz ankämpfend, gelang es ihm, seine verletzte Hand zu
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