Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
seines Altars lag – Glas für Clain, den Gott der Glasmaler. Glas für Morada, die verlorene Liebe in Parions Leben.
Der Meister erhob sich auf ein Klopfen an der Tür hin. Dreimaliges, kurzes Pochen. Natürlich war der Priester gekommen. Der Priester kam jeden Morgen.
»Pater«, sagte Parion, als er die Tür öffnete.
Der junge Mann blieb auf der Schwelle stehen, in die frühlingsgrünen Gewänder gekleidet, die ihn als all den Tausend Göttern geweiht kennzeichneten. Nicht dass diese Gewänder ihn in Brianta in irgendeiner Weise hervorhoben… Die Hälfte der Menschen auf den Straßen trugen die grüne Kleidung – wenn nicht die Priester, dann die Frauen, die ihnen dienten, die Caloyas, die sicherstellten, dass für die gläubigen Gruppen gesorgt wurde, und die weder Nahrung noch Kleidung noch irgendeine andere materielle Entlohnung forderten. In anderen Teilen der Welt musste man in die Priesterkaste geboren werden, aber hier in Brianta wurden Bekehrte freimütig aufgenommen. Das heißt, Bekehrte mit Geld – Gold konnte tausend Wege ebnen.
Der Priester sagte in einem gewissen Tonfall: »Mögen die Tausend Götter alle Eure Bemühungen segnen.«
»Und Eure, Pater«, erwiderte Parion automatisch. »Möge der Erste Pilger Jair Euch mit Gnade betrachten.« Jeden einzelnen Morgen tauschte er mit einem Repräsentanten der Kirche Segen aus. Er wurde von ihren Rufen auf der Straße geweckt: »Segen der Götter! Gelobt seien die Götter! Singt den Tausend Göttern alle Lob!«
Parion trat achselzuckend zu seinem breiten Arbeitstisch und tastete automatisch nach der Goldmünze, die er als tägliches Opfer der Gilde beiseitegelegt hatte. Er gab sie dem Priester in die ausgestreckte Hand und vollführte ein heiliges Zeichen über seiner Brust. »Betet für uns, Pater. Betet dafür, dass Clain unsere Glasmalergilde segnet.«
»Im Namen Clains«, erwiderte der Priester prompt, »möge Euer Tag Euch Freude und Wohlstand bringen.« Der Priester ahmte das Zeichen nach, das Parion vollführt hatte, und dann ging er, sich verbeugend, aus der Tür.
Der Glasmalermeister zuckte die Achseln, während der Türriegel unter seiner Hand einrastete. Zuerst hatte ihn das beständige Betteln des Priesters geärgert, aber er hatte sich an die briantanische Tradition gewöhnt. Immerhin hätte er auch daheim in Moren ein Mal die Woche Gold geliefert, wenn er sich mit all den anderen Gildeleuten zu einem Gottesdienst in der Kathedrale versammelt hätte. Er hätte mehrere Münzen genommen und sie gegen Wachskerzen für Clains Altar eingetauscht. Welchen Unterschied machte es, wenn die Priester zu ihm kamen, hier in Brianta? Welchen Unterschied machte es, wenn Parion seine Angelegenheit fern der Kirche verfolgte?
Zumindest schuldete die Gilde hier keinem König Steuern. Das briantanische Königtum begriff, dass die Kirche wichtiger war. Der König versuchte nicht, seine Schatzkammer aus den zerlumpten Taschen der Glasmaler zu füllen. Nein, das briantanische Königtum war… zurückhaltend. Schwach.
Die Dinge hätten vielleicht anders gelegen, wenn die briantanische Prinzessin Halaravilli vor – wann war das? – drei Jahren geheiratet hätte. Das hiesige Königshaus hätte vielleicht an Ansehen gewonnen. Aber ben-Jair hatte die Frau verschmäht, sie ohne Umstände fortgeschickt, bevor er ging und seine Spinnengilde-Königin fand.
Noch ein weiterer Grund für die Glasmaler, im Exil zu bleiben. Die vorgeblichen Herrscher Briantas und des grausamen Morenia konnten sich nicht ausstehen. Der schwache, briantanische König hätte nichts dagegen, wenn Parions Gilde Macht erränge und diese Macht gegen das Haus ben-Jair einsetzte. Parion hatte beobachtet, wie der briantanische Adel während der vergangenen drei Jahre dahinschwand, als hätte die Rückkehr ihrer Prinzessin das letzte Ausreißen der verwelkenden Blütenblätter bedeutet.
Während der König schwächelte, hatten religiöse Splittergruppen in der ganzen Stadt, in ganz Brianta an Macht gewonnen. Priester gaben Erlasse heraus, als wären sie Adlige. Religiöse Vereinigungen hatten begonnen, strengere Regeln zu fordern – Pilger durften nicht ohne lange Gewänder und Umhänge durch die Straßen schreiten. Prediger erhoben ihre Stimmen an Straßenecken, gaben Erklärungen zum Handeln treuer Andächtiger, geweihter Pilger ab. Die Menschen hatten begonnen, von Hexen zu flüstern, von Reisenden, die sich als Menschen des Glaubens tarnten, nur um das wahre Fundament Briantas zu
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