Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
untergraben.
Parion konnte all diese religiöse Effekthascherei nicht ignorieren. Er hatte die Glasmaler aus einem einfachen Grund nach Brianta gebracht: Hier war er davor sicher, irgendeine Zahlung an das Haus ben-Jair leisten zu müssen. Er brauchte keine königlichen Soldaten zu finanzieren, brutale Menschen, die durch die Gärten einer Gilde trampeln, Brennöfen niederreißen und Unschuldige verstümmeln und ermorden würden…
»Clain bewahre uns«, murrte Parion aus Gewohnheit, und dann rezitierte er das Gebet der Gildeleute, die vertrauten Worte, mit denen jeder Tag seines handwerklichen Könnens begonnen hatte, seit er ein Kind war. »Mögen all die Götter meine Zunft mit Wohlwollen betrachten, und möge ihnen die durch meine Hände erschaffene, demütige Kunst gefallen. Möge Jair selbst sich über mein bescheidenes Opfer freuen, und mögen meine geringsten Arbeiten der Welt Ruhm einbringen. Mögen meine Arbeiten mich zu meiner gegebenen Zeit auf die Himmlischen Gefilde geleiten, wenn die Götter Gnade walten lassen. Aller Ruhm den Tausend Göttern.«
Seine Finger tasteten nach dem Glasmedaillon, das mitten auf dem Altar lag. Er hob es an seine Augen und blickte dann ins Morgenlicht, das durch sein Fenster strömte. Das Sonnenlicht ließ funkelnde Reflexe wie tanzende Schmetterlinge über das Emblem tanzen, wie die Pilgergesänge, die auf dem briantanischen Wind von der Straße aufstiegen.
Das Medaillon war in der Mitte rissig – ein gezackter Spalt verlief durch seinen schwarz-weißen Wirbel. Schwarz und weiß, wie Moradas Haar. Schwarz und weiß, wie die Schlacht, die in Parions Herz tobte, der Kampf um Rache und um Beständigkeit. Trotz acht Jahren der Handhabung des gespaltenen Medaillons blieb es ungebrochen. Er sprach leise ein Dankgebet, ohne einen bestimmten der Tausend Götter zu nennen, und legte das Glas auf seinen Unterarm. Die kühle Rundung zog das Feuer aus den bläulichen Narben, die seine Haut durchzogen, Narben von seiner verschworenen Lehnstreue, von Blutschwüren, die in ben-Jairs Kerkern mit Salz bestreut wurden.
Selbst jetzt noch, nach all dieser Zeit, erhitzte sich das Blut in seinen Adern bei der Erinnerung an die Ausbilderin, die das Glasstück gestaltet hatte, an die Frau, die ihm das letzte Andenken an ihre unsterbliche Liebe vermacht hatte.
Unsterbliche Liebe vielleicht, aber kein unsterblicher Körper.
Morada war vor acht Jahren von Shanoranvilli ben-Jairs Folterknechten hingerichtet worden. Sie war von der Krone als Schachfigur in einem Spiel benutzt worden, das sie nicht annähernd begreifen konnte. Warum hatte sie nicht auf Parion gehört, als er sie zu warnen versuchte? Warum hatte sie sich nicht geschützt, als er ihr sagte, dass kein Glasmaler, der bei Verstand war, mit der Politik zu spielen versuchen würde?
Er konnte sich noch immer daran erinnern, wie sich Morada in jener Nacht von ihm abgewandt hatte, an das erste Mal, dass sie ihn belogen hatte. Sie hatte schon damals ihre Flucht vor dem wachsamen Auge der Gilde, aus Parions Armen geplant. Sie war zu irgendeinem Geheimtreffen gegangen, irgendeiner heimlichen Verabredung, die ihr die Macht versprochen hatte, die sie ersehnte. Mit dem verzweifelten Wunsch, etwas über Probestücke für Lehrlinge hinaus zu erschaffen, hatte Morada ihr erhebliches Glasmalerkönnen dazu benutzt, ein Mosaik für irgendeine adlige Splittergruppe zu gestalten, ihr geheimes Lager zu schmücken.
Parion konnte sich an das erste Mal erinnern, Monate später, als er die um ihren Arm tätowierten, verflochtenen Schlangen gesehen hatte, die sich bösartig umeinander wanden.
Hungrig. Hoffnungslos. Sie hatte zugegeben, dass das Muster dasselbe war, das sie für den Geheimbund gestaltet hatte, dasselbe, das sie an ihrem verborgenen Treffpunkt auf eine Fliese aufgebracht hatte.
Und doch, Clain rette ihn, hatte er ihr nicht befohlen, von den adligen Machtkämpfen abzulassen. Als Meister der Glasmalergilde hatte er geglaubt, er verstünde ihre Verbindung zu jenen Schurken. Morada betrauerte nur das Leben, das sie verloren hatte, die Abenteuer, die ihr aufgrund ihres Versprechens, im Gildehaus zu bleiben und zu lehren, verwehrt waren. Ausbilder nahmen immerhin häufig extreme Bräuche an – was die Kleidung oder das Gehabe oder wilde, extravagante Feste betraf. Sie brauchten etwas, das die Monotonie ihrer durch die Gilde gebundenen Zeit unterbrach.
Morada!, dachte Parion, während er das Medaillon polierte. Wenn ich nur gewusst hätte! Wenn
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