Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
den vierzehn Tagen seit dem Seidenverkauf geschlafen hatte. Er sollte keine weiteren Babys verbrennen müssen. Er sollte nicht noch mehr verlorene Erben auf Scheiterhaufen darbieten müssen.
Königin Mareka stützte sich schwer auf den Arm ihres Mannes. Ihr schmächtiger Körper verschwand fast in ihrem steifen Trauergewand. Der Stoff verschluckte ihre schmalen Glieder. Ihr Gesicht wirkte im Nachmittagslicht käseweiß, und ihre Haut nahm eine ungesunde Färbung an, als sie durch die edelsteinartigen Farbtöne der Buntglasfenster schritten, die hoch in die Kathedralenmauern eingelassen waren. Königin Mareka bewegte sich wie eine gebrochene Frau, wie eine Großmutter, die auf ein unreines Grab zuwankt. Sie hinkte, während sie neben ihrem Mann einherging, begünstigte deutlich den Knöchel, der sich so grausam verdreht hatte, der sie so vollkommen im Stich gelassen hatte.
Der Heilige Vater Dartulamino wartete, bis sein König und die Königin vor ihm standen. »Willkommen im Namen der Tausend Götter.«
»Mögen Euch all die Götter segnen«, erwiderte Berylina mit der Menge.
»Ich trete mit schwerem Herzen vor euch hin«, sagte der Priester. »Wir alle müssen während unseres Lebens das Werk Tarns bezeugen. Wir alle müssen den Gott des Todes willkommen heißen und seine Herrschaft über uns anerkennen, denn Tarn wird einen jeden von uns unter seinen Umhang nehmen, wenn unser Weg zu Ende ist.«
Jedes Mal, wenn der Priester den Namen des Gottes des Todes aussprach, sah Berylina einen grün-schwarzen Blitz, das Schillern eines Insektenflügels, der über König Halaravilli schwebte. Ihr Herz flog dem Mann zu, und sie wünschte, dass sie ihm dies ersparen könnte, dass sie ihn vor Tarns kalten Absichten schützen könnte.
Der König hatte immerhin versucht, freundlich zu ihr zu sein. Selbst als er um sie warb. Selbst als er beabsichtigte, sie zu heiraten, unter den hasserfüllten Augen der Gehörnten Hirschkuh. Das konnte sie jetzt verstehen. So sehr war sie gereift, seit sie den Hof ihres Vaters verlassen hatte. Davor, als König Halaravilli um sie geworben hatte, war sie sehr ängstlich gewesen. Sie hatte geglaubt, er wollte sie nur heiraten, um seine Schatzkammer zu füllen, um seinen Goldvorrat aufzustocken.
Jetzt wusste sie, dass Halaravilli ein gläubiger Mann war. Er nahm seine Verpflichtungen als Verteidiger des Glaubens ernst. Er weitete seinen Schutz auch auf sie aus, obwohl sie ihm kein Gold mehr geben konnte. Er versicherte sich, dass Berylina Pergament für ihre Zeichnungen hatte und Kreide und Tinte und was auch immer sie sonst benötigte.
Der Heilige Vater Dartulamino fuhr mit dem Begräbnisgottesdienst fort. Vielleicht war es leichter für den König und die Königin zu wissen, dass die Gebete, die sie laut sprachen, die normalen Totengebete waren, dieselben Worte, die seit Jahrhunderten von trauernden Eltern mühsam hervorgebracht wurden. In den Augen der Tausend Götter war nichts Besonderes am Verlust der Prinzen, kein spezielles Versagen von Seiten Königin Marekas oder des Königs. Während sie in der Kirche standen, wurde von ihnen nicht verlangt, als Königshaus zu agieren. Sie brauchten hier nicht ganz Morenia anzuführen. Sie konnten vielmehr Eltern sein – einfache, trauernde Eltern.
Es war üblich, während eines Begräbnisgottesdienstes Besitztümer der Toten auf dem Altar auszustellen. Die königlichen Prinzen hatten jedoch noch nichts besessen. Sie waren so früh geboren, dass sie noch kein Geschenk von einem Lord oder einer Lady aus einem fernen Land erhalten hatten.
Berylina seufzte. Normalerweise hätten eifrige Adlige Schätze geschickt, um Königin Marekas Schwangerschaft zu gedenken. Dieses Mal hatten die Menschen gewartet. Sie mussten unsicher gewesen sein, nach dem Verlust der anderen Babys. Sie hatten ihr Gold, ihr Elfenbein, ihre Grußgeschenke nicht verschwenden wollen.
Dennoch lagen zwei Schmuckspangen auf dem Altar, eilig zu Ehren der Kinder gestaltete Symbole. Auf die eine war das Wappen der ben-Jairs eingraviert, der stolze Löwe des Königs, der sich in einem Flachrelief wand. Die andere fing das Wappen der Königin ein – oder zumindest das ihrer früheren Gilde. Eine Octolaris-Spinne hob sich von der Holzoberfläche ab, ihre acht Beine hoch über ihren Rücken gewölbt. Ein Spinnweb zog sich über die Holzoberfläche, das Symbol der Seide, die Mareka nach Morenia gebracht hatte.
Pater Dartulamino hob die Hände über die Schmuckspangen und intonierte:
Weitere Kostenlose Bücher