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Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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heraufzubeschwören, den Gott herbeizubringen? Sie konnte ihre Gründe nicht in Worte fassen. Nome würde jedoch verstehen. Er würde wissen, dass sie seine Warnungen nicht wieder ignorieren würde. Sie würde sein Flöten nicht mehr überhören, weil sie an andere Götter dachte, auch nicht an Lor, den Seidengott.
    Sie blieb auf Knien, bis Tarns Totenglocke aufhörte zu läuten, bis der schwere Klang in von Murmeln bestäubte Stille verklang. Normalerweise liebte Berylina den Klang einer verklingenden Glocke – die Kathedralenglocken riefen jede Woche Andächtige herbei, drängten alle Gläubigen ins Haus der Tausend Götter. In den Noten verborgen, konnte Berylina die gesamte Sinfonie der Götter hören, eintausend Stimmen, die zwischen den metallenen Tönen erklangen.
    Aber Tarns Totenglocke war anders. Sie klang einsam. Traurig.
    Berylina erhob sich und warf einen letzten Blick auf die Kerze, die sie angezündet hatte. Wachs war um den Docht geschmolzen, ein klarer Teich, der in der Hitze der Kapelle schimmerte. Sie stellte sich vor, wie sie in den Kreis eintauchte, ihr menschliches Fleisch versengen ließ, bis sie nur noch Hingabe an die Götter war, nichts als reine, formlose Anbetung.
    Es war jedoch keine Zeit für solche Glaubensphantasien. Sie musste König Halaravilli aufsuchen. Sie musste dafür beten, dass die jüngsten königlichen Zwillinge jenseits der Himmlischen Tore aufgenommen würden.
    Siritalanu wartete natürlich auf sie. Er nahm ihren Arm, als sie Nomes Kapelle verließ, und führte sie durch die Menge, welche die Kathedrale erfüllte. Das hohe Mittelschiff war von Menschen erfüllt, die kamen, um ihren König zu ehren, um mit ihm, wieder einmal, um verlorene Erben zu trauern.
    Dieses Mal war das schlimmste. Zwei Söhne verloren. Zwei vollkommene Jungen – jeder mit zehn Fingern, zehn Zehen.
    Makellosen Rosenknospenlippen und Ohren, die an ihren winzigen Schädeln anlagen wie Pergamentstreifen. Sie waren so klein…
    Berylina wünschte, sie hätte die Kinder nicht gesehen. Sie wusste, dass die Erinnerung ihre Träume monatelang heimsuchen würde. Die toten Zwillinge würden vor ihren Augen schweben, wenn sie die Götter sehen sollte. Sie würde das Laudanum an ihren kleinen Körpern riechen, wenn sie den Duft eines der Tausend einatmen sollte. Sie würde ihre schwachen Schreie hören, das mitleidsvolle Wimmern, das sie noch ausstoßen konnten, bevor ihre Brust an jenem Sommernachmittag einsank.
    Nun, wo sie ihre Schlacht verloren hatten, musste Berylina Zeugnis von ihrem Kampf ablegen. Das war immerhin ihr Schicksal – Zeugnis abzulegen für das Haus ben-Jair. Die Tausend Götter hatten einen Grund gehabt, sie aus ihrem Zuhause zu erheben, sie aus ihrem Land der Ungläubigen fortzubringen. Sie war über das Meer in diese neue Heimat gereist, damit sie die Macht der Tausend Götter in den Leben der Menschen, in den Leben der königlichen Familie bezeugen konnte.
    Pater Siritalanu verstand. Das war der Grund, warum er sie in die vorderste Reihe der Adligen gebracht hatte. Das war der Grund, warum er sie zu den Priestern und Caloyas des königlichen Haushalts geführt hatte. Sie konnte den heiligen Vater Dartulamino deutlich sehen, als er auf das Podest in der Mitte des Querschiffs stieg.
    Das Gesicht des Heiligen Vaters war verhärmt, düster, als wären die Kinder, die er betrauerte, seine eigenen. Goldenes Tuch lag um seine Schultern, drückte seine grünen Gewänder nieder. Die dunklen Augen des Priesters waren verschleiert, und sein ansehnliches Gesicht wirkte ernst. Er hob eine gebieterische Hand, und aller Augen folgten dem Bogen, den seine Finger beschrieben, wandten sich dem Mittelschiff der Kirche zu.
    Die Menge teilte sich langsam, als wollten die Menschen nur ungern ungezügelten Kummers ansichtig werden. Berylina konnte von ihrem Standort aus besorgte Gesichter sehen. Sie konnte Zorn und Kummer und mehr als nur ein wenig Angst erkennen.
    Der König und die Königin trugen vollständige Trauerkleidung. Ihre Gewänder waren tiefschwarz gefärbt, durch düstere Stickerei starr, die jeden Schritt wie einen steifen, militärischen Marschschritt erscheinen ließ. König Halaravilli trug eine gepunzte Eisenkrone auf dem Kopf, das schwere Band sein einziges Zugeständnis an den königlichen Status im Haus der Tausend Götter. Er bewegte sich wie ein Besiegter, wie ein uralter, unter einem siegreichen Heer gebeugter Krieger. Sein Gesicht wirkte abgehärmt, und Berylina fragte sich, ob er in

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