Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
frustriert versucht, Nome ruhigzustellen. Sie hatte Lor anrufen wollen, hatte versuchen wollen, den Pfeffergeruch des Gottes der Seide aufzunehmen. Immerhin hatte sie Lor im Namen König Halaravillis ehren wollen. Sie hatte den Segen des Gottes auf das neue Gildeabenteuer herabbeschwören wollen. Sie hatte geglaubt, keine Zeit für Nomes leichtfertige Spiele zu haben.
Hätte sie Nomes Musik nur zugehört… hätte sie sich nur all das angehört, was der Gott ihr zu erzählen hatte! Sie hatte an jenem Morgen sogar gemalt, bevor sie zum Gildehaus aufbrach. Er hätte seine Finger um ihre legen und ihre Hand über die Seite führen können. Sie hätte vielleicht Königin Marekas Schlafzimmer gezeichnet, das hohe Fenster, das über die Stadt hinausblickte. Sie hätte vielleicht den Balkon gezeichnet, mit seiner erhöhten Steinbank, mit den merkwürdigen, steilen Stufen, die von den Räumen der Königin zur Balustrade führten. Sie hätte die Königin vielleicht außerhalb ihrer Räume auf und ab schreiten sehen, ihre Ärzte ignorierend, während sie die Sonne genoss, während sie sich hinausbeugte, um die kräftigen, stolzen Linien der fernen Seidenhalle zu sehen.
In der Zeit seit dem Unglück hatte Berylina sich gesagt, dass es noch schlimmer hätte kommen können. Die Königin hätte über die Balkonbrüstung auf den darunter befindlichen Hof stürzen können. Wäre das geschehen, hätte Königin Mareka ihr Leben ebenso verloren wie das der Zwillinge, die sie trug.
Stattdessen hatte die Königin ihren scheltenden Hofdamen nachgegeben. Sie hatte zugestimmt, in ihr mit Vorhängen versehenes Bett zurückzukehren. Vom hellen Sonnenschein geblendet, während sie sich der steilen Treppe näherte, hatte sich die Königin umgewandt, um über die Schulter zu sehen, weil sie sich einbildete, sie könnte den Seidenmeister für den ersten Posten Stoff »Verkauft!« rufen hören. Sie hatte einen Fuß unsicher auf den Steinrand gesetzt, den Knöchel verdreht und war auf das Gelenk gefallen, das von der Schwangerschaft angeschwollen war. Sie hatte die Hand ausgestreckt, um sich abzufangen, aber sie hatte den steinernen Fensterträger verfehlt. Sechs Stufen. Sechs Steinstufen, und dann war die Königin hart gegen das Bein eines Holztisches geprallt.
Berylina konnte sich selbst jetzt die Aufregung in den Räumen der Königin vorstellen. Sie wusste, dass die Götter angefleht wurden: der minzartige Zake für Ärzte, der salzige Chine für Mütter. Und natürlich der flötende Nome für Kinder.
Und mehrere lange Minuten schienen jene Gebete zu genügen. Die Götter hatten sich auf ein neues Gleichgewicht verlegt. Sie hatten sich in ihrem ewigen Tanz gedreht, einander berührt, sich in Muster hineinbewegt und die Menschen umarmt und beschützt, die ihnen ihre Gebete darboten.
Man hatte Königin Mareka auf ihr Bett gelegt und sie mit Wolldecken zugedeckt. Sie hatte frustriert und schmerzerfüllt geschluchzt und die Adlige angefaucht, die versucht hatte, sich um ihren verdrehten Knöchel zu kümmern. Eine Bedienstete lief nach Wein, eine weitere nach Wasser, um kühle Tücher auf den königlichen Fuß zu legen.
Und dann begannen die Geburtswehen.
Als alles vorüber war, war Nome zu Berylina gekommen und hatte sein Klagelied geflötet. Er hatte ihr erklärt, dass die Prinzen zu früh gekommen seien. Kein Gott konnte alle Wunder bewirken. Nome konnte bereits begonnene Vorgänge nicht aufhalten. Der Leib der Königin war durch ihren Sturz die Stufen hinab und durch ihren Aufprall am Tisch verletzt worden – das konnte Nome nicht stoppen. Die Zwillinge wurden durch den Sturz jäh aufgeweckt – auch das konnte kein Gott ändern.
Wäre es ein Kind gewesen, hätte sich Nome vielleicht als stark genug erwiesen. Aber er musste seine Aufmerksamkeit zwischen zwei jungen Schützlingen aufteilen. Er musste zwei zerbrechlichen Körpern Leben einhauchen. Letztendlich waren die Prinzen zu klein. Es war nicht zu verhindern.
Tarn nahm die königlichen Erben auf. Der Gott des Todes nahm sie unter seinen grün-schwarzen Umhang, verbarg das Licht ihrer Seelen unter Seide, die wie Käferflügel schimmerte. Er trug sie davon, bevor sie das Leben im Palast geschmeckt hatten, bevor sie jemals eine Chance hatten, ihre königlichen Leben zu leben. Nome hatte seinen Zugriff mit traurigem Achselzucken gelöst, mit einem Flötenklang, der im Sommerwind fast unterging.
Also warum entzündete Berylina nun eine Kerze für ihn?
Warum versuchte sie, seine Musik
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