Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
Mylady? Wollt Ihr die Gnade der Götter für unsere Unternehmungen erbitten?«
Berylina Donnerspeer. Rani hatte nicht bemerkt, dass die liantinische Prinzessin an der Auktion teilnahm. Sie folgte Hals Geste und betrachtete die dunkle Ecke, in die sein Blick fiel. Berylina trat zögernd einen Schritt vor, bewegte sich, als zöge die Bewegung ihres Königs sie aus einer Grube mit Treibsand heraus.
Die Prinzessin war in den drei Jahren, die sie am Hof verbracht hatte, gewachsen. Sie hatte ihre kindliche Rundlichkeit verloren und die sanfteren Wölbungen der Weiblichkeit angenommen. Sie trat auch sicherer auf, hatte sich fast an die Blicke der öffentlichen Aufmerksamkeit gewöhnt. Sie schritt zu Hals Podest, ohne zu erröten, ohne nervös zu zappeln, ohne ihr einfaches Gewand in Grasgrün zu umklammern.
Einige Dinge an der Prinzessin würden sich jedoch nie ändern. Ihre Zähne ragten noch immer über die Unterlippe hervor und verliehen ihr ein pferdeähnliches Aussehen. Und eines ihrer Augen wanderte noch immer ab, so dass Rani selbst jetzt nicht sagen konnte, ob das Mädchen über die Versammlung hinwegblickte oder nur ihren angenommenen König ansah. Berylinas Haar war den sittsamen Zöpfen entkommen und bauschte sich um ihr Gesicht wie ungebärdiges Stroh.
Und doch umgab die Prinzessin ein Friede, eine Zuversicht, die sie in ihrem Heimatland nie gezeigt hatte. Als sie vorne an das Podest trat, klang ihre Stimme ruhig und so sanft, dass die Versammlung kollektiv den Atem anhielt. Aber ihre Worte erklangen gelassen und sicher. Ihre Stimme schwankte nicht, als sie sagte: »Möge Lor über alle Handel in dieser Halle wachen und alle Menschen zu Wahrheit und Gerechtigkeit führen. Möge der Erste Gott Ait alle hier Handel Treibenden anleiten. Möge der Pilger Jair an allen zukünftigen Tagen als Führer und Vorbild für alles vor uns erscheinen, was richtig und gut ist. Lasst uns, im Namen all der Tausend Götter, für immer und ewig um Anleitung und Erfolg beten. Amen.«
»Für immer und ewig. Amen«, wiederholte Hal und lächelte freundlich. Nur wenige Anwesende wussten von dem hohen Risiko, das er eingegangen war, indem er Berylina in sein Haus aufgenommen hatte. Nur wenige wussten, dass Berylinas Vater, Teheboth Donnerspeer, mit Krieg gedroht hatte, verkündet hatte, Morenias Küsten mit allen ihm zur Verfügung stehenden Schiffen zu verheeren. Hal war es gelungen, eine Art Frieden auszuhandeln, indem er Teheboth daran erinnerte, dass der König die Prinzessin nicht zu schätzen gewusst hatte, als sie noch in seinem Palast lebte, sie auf keinerlei Art geehrt hatte. Letztendlich hatte Hal, auf Ranis Drängen hin, Zuflucht zu einem großartigen Verhandlungsmanöver genommen, indem er Berylinas Vater angeboten hatte, sie ihm wieder zu überlassen, die Prinzessin gegen ihren Willen nach Liantine zurückzuschicken.
Da war Teheboth von den Verhandlungen zurückgetreten. Was wollte das Haus Donnerspeer immerhin mit einer hässlichen Tochter, einem körpergeschädigten Mädchen, einer religiösen Fanatikerin, die den Wegen der Tausend Götter folgte, auch wenn jene Wege sie in Schande und Armut am morenianischen Hof führten? Hal war zornig geworden, als Teheboth aufgab, hatte aber die letzte Korrespondenz unbeantwortet gelassen. Berylina war sicher und der Krieg abgewendet. Was konnte Hal tatsächlich mehr verlangen?
In der Seidenhalle vollendete Berylina ihren geflüsterten Segen und trat dann von dem Podest herab, zog sich sofort wieder in ihre dämmerige Ecke zurück. Rani bemerkte, dass Pater Siritalanu dort auf sie wartete. Der Priester hatte der Prinzessin bei der Flucht aus Liantine geholfen und ihre religiöse Unterweisung hier in Morenia beaufsichtigt. Der Mann war ihr jenseits aller Vernunft treu ergeben und behauptete ständig, er liebe ihren Geist, ihren reinen Glauben. Rani zuckte die Achseln. Geist, Glauben, körperliches Verlangen nach ihr… Welchen Unterschied machte das in Wahrheit?
Der Mann hatte der linkischen Berylina geholfen, sich in ihrem neuen Zuhause einzurichten.
Hal huldigte nun vom Podest aus anderen, erhob seinen Becher zum Gruß an den Meistersteinmetz, der die Halle gebaut hatte. Er huldigte Davin, dem uralten Gefolgsmann, der ein Bewässerungssystem für die Riberrybäume entworfen hatte, welche die einzige Nahrungsquelle der Octolaris beherbergten. Er huldigte den Horden von Arbeitern, die sich um die Octolaris kümmerten, die Spinnen mit den Raupen fütterten, sich um ihre Käfige
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