Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
Vom Netzwerk:
reckte das Kinn. »Gut, Pater. Gehen wir hinein.«
    Siritalanu lächelte ihr zu, und die Freundlichkeit auf seinem Gesicht erwärmte sie. Er verstand. Er schätzte sie. Er erkannte ihren Beweggrund für die Reise hier nach Brianta. Er nickte ein Mal und stieß die Tür auf.
    Berylina blinzelte und trat über die Schwelle.
    Dunkelheit. Während Siritalanu die Tür hinter sich zufallen ließ, zog Berylina ihre Unterlippe zwischen die Zähne. Wen kümmerte es, wenn die Bewegung ihr plumpes Kinn noch betonte? Der Erste Pilger kannte und liebte sie auch in ihrem verkrüppelten, geschwächten Körper. Er würde über sie wachen, gleichgültig wie ihre Zähne aussahen.
    Berylina vollführte ein heiliges Zeichen über der Brust und tat einen Schritt in den Raum hinein. Ein Pfahl stand zu ihrer Rechten, und sie streckte eine Hand aus, um über die Gebetsglocke zu streichen, die daran hing. Der Laut klang in dem Raum schrill, lebendig, vor Macht vibrierend, und Berylina musste den Drang unterdrücken, ihre Finger um die Glocke zu legen. Sie wollte die übrigen Pilger nicht stören. Sie wollte sie nicht von ihrer Andacht fortrufen.
    Es schaute jedoch niemand auch nur auf. Niemand registrierte die Anwesenheit der Prinzessin. Tausende von Pilgern berührten die Glocke jeden Tag. Tausende von Gläubigen boten in diesem Tempel, am Geburtsort des Ersten Pilgers ihre anonymen Gebete dar.
    Als Berylina stark blinzelte, konnte sie in den Schatten Menschen ausmachen, Männer und Frauen, die an den niedrigen Altären knieten, welche die Wände säumten. Sie wusste alles über diesen heiligen Ort. Sie hatte Geschichten von anderen Reisenden gehört und in Morenias großer Bibliothek Berichte gelesen. Jeder der Altäre war Jair geweiht. Jeder enthielt eine Reliquie seines Lebens, etwas, was der Erste Pilger berührt hatte, benutzt hatte, gesegnet hatte.
    Die Legende besagte, dass es eintausend Reliquien des Ersten Pilgers gab, eines für jeden der Götter. In dem Tempel befanden sich gewiss nicht so viele Gegenstände. Sie zu zählen galt unter liantinischen Pilgern als Mysterium des Glaubens.
    Berylinas Knie sehnten sich danach, sich vor den heiligen Gegenständen niederzulassen. Ihre Finger zuckten. Sie hatte während ihrer langen Reise nach Brianta keine Gelegenheit gehabt zu zeichnen – ihre Stifte und Kreide waren sorgfältig verpackt worden. Sie hatte die Götter außer Acht lassen müssen, wenn sie zu ihr kamen, hatte versprochen, die Bilder später einzufangen.
    Jene Versprechen hatten jedoch Früchte getragen. Mit ihren in Schach gehaltenen Visionen der Götter hatten ihre anderen Sinneseindrücke zugenommen. Jeder Schritt durch die briantanischen Straßen war ein Reiz gewesen, eine Stimulierung ihrer Nase, ihres Mundes, ihrer Ohren, ihrer Haut.
    Während sie einen weiteren Schritt in den Raum hineinging, begannen sich ihre Augen an das trübe Licht anzupassen. Eine einzelne Kerze brannte in der Mitte des Raumes, dick wie ihr Arm und aus einfachem, weißem Wachs gestaltet. Das Licht hing an einer schmiedeeisernen Kette, die sich bis zur Decke wand. Ein Altar stand unter der Kerze, der aber von einer dichten Ansammlung von Gläubigen umgeben war.
    Berylina wusste, warum sie sich dort versammelt hatten. Der Mittelaltar war genau auf dem Fleck errichtet, wo Jair vor mehr als eintausend Jahren geboren wurde. Seine heilige Mutter hatte vor ihrer Hebamme gekauert und das Kind geboren, das die Welt verändern würde, das Kind, das die Herzen und Augen der Menschheit all den Tausend Göttern öffnen würde.
    Berylina schloss die Augen und atmete tief durch, erfüllte ihre Lungen mit der Heiligkeit des Raumes. Ihre Finger kribbelten, und ihr Gaumen vibrierte von der Macht. Der Macht des Pilgers. Der Macht der Tausend Götter.
    Gläubige bewegten sich durch den Raum, krochen auf Knien von Altar zu Altar. Frauen schluchzten, und Männer brummten ihre Hingabe, während sie vor den heiligsten Reliquien kauerten. Berylina wollte sich ihnen anschließen. Sie wollte von der Herrlichkeit erfüllt werden, die Jair war. Sie wandte sich an Siritalanu und flüsterte halbwegs: »Pater…«
    »Ja, Kind«, hauchte der Priester. »Ich spüre die Macht.«
    Siritalanu führte sie zu einem der Altäre, seine Hand an ihrem Rücken zitternd. Er kniete sich neben sie und beugte sich nahe zu ihr, um ihr ins Ohr zu flüstern: »Heil, Heiliger Pilger Jair. Betrachte diese Büßerin mit Gnade und Mitgefühl, und segne die Reise, die sie in deinem Namen unternimmt.

Weitere Kostenlose Bücher