Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
geplant, und sie würde sich aufgrund der Verzögerung nur als noch süßer erweisen. Sie würde dafür noch mehr leiden, dass sie glaubte, sie hätte jetzt die Oberhand.
»Also gut«, sagte er. »Ich bin mit deiner Einschränkung einverstanden. Erhebe dich, Ranita Glasmalerin, und sei in unserer Gilde willkommen, bis zu Clains Festtag, wenn dein Können und deine Hingabe von deinen Gilde-Gefolgsleuten geprüft werden.«
Sie küsste seine Hand, als er sie ihr hinstreckte, und er fragte sich, ob ihr bewusst war, dass sie nicht zuerst zu ihren Gefährten zurückschaute, zum Gaukler und dem Unberührbaren-Mädchen. Aber Parion tat es. Er sah sie, und er erkannte, dass sie sich beide um sie sorgten. Beide verübelten es ihr, dass sie sie nicht um Rat ersuchte. Beide erkannten, dass die Verräterin im Gildehaus in Gefahr war.
Parion zog die Hand zurück und vollführte mit seinen Fingern die komplizierte briantanische Geste der Vaterschaft. »Willkommen, Ranita Glasmalerin. Willkommen in der Glasmalergilde.«
6
Berylina stand auf der Straße und bemühte sich, daran zu denken, dass sie atmen, atmen, die kahlen Steinmauern vor ihr hinaufblicken musste. Der Geburtsort des Ersten Pilgers Jair. Hier.
Ein Lächeln verzog ihre Mundwinkel. Sie hatte es vollbracht. Sie war nach Brianta gereist. Trotz eines Vaters, der glaubte, sie sei besessen, trotz eines neuen Monarchen, den sie verwirrte, trotz eines Priesters, der eine heilige Scheu vor ihr hatte, war sie den ganzen Weg über die Große Östliche Straße gereist und letztendlich in Jairs Heimat angekommen.
Der arme Pater Siritalanu. Er hatte die Reise mit ihr bewältigt, nachdem er seine häufig geäußerten Befürchtungen und seine Ängste um ein sechzehnjähriges Mädchen verdrängt hatte. Er hatte mit Gastwirten gesprochen und sichergestellt, dass Berylina bei jedem Halt ein Zimmer für sich hatte. Er hatte mit ihr in den Ecken seltsamer Gasthäuser gekniet, ihre Hände zwischen seinen gehalten und ihr geholfen, die verschiedenen Götter anzurufen, damit sie ihren Tag segneten. Er hatte in den einsamen Nächten lange mit Berylina gesprochen, hatte ihr Gesellschaft geleistet, während sie zuhörten, wie das Unberührbaren-Mädchen, Mair, ihr weinendes Kind beruhigte. Er hatte sich geräuspert und seine Stimme erhoben, um den Lärm von Ranita Glasmalerin und Tovin Gaukler zu übertönen, während sie sich in ihren Privaträumen aufhielten…
Berylina errötete. Ranita und ihr Geliebter hatten versucht, diskret zu sein. Sie hatten versucht, ihre Handlungen vor den anderen Reisenden verborgen zu halten, versucht, niemanden von den Momenten wissen zu lassen, die sie sich gestohlen hatten.
Aber für wie töricht hielten sie Berylina? Wie oft konnten zwei vernünftige Menschen wertvolle Dinge in ihren Satteltaschen vergessen, nachdem die Pferde in den Stall gebracht wurden? Wie oft konnten Türen in der Nacht quietschen, selbst im am schlechtesten geführten Gasthaus? Und wie oft konnte Mairs weinendes Baby als Entschuldigung dafür herhalten, die Räume zu tauschen, für verschlafene Augen und weiches Lächeln am Morgen herhalten?
Berylina schüttelte den Kopf. Ranita und Tovin kümmerten sie nicht. Es kümmerte sie nicht, was sie sagten oder dachten oder taten. Immerhin segneten die Tausend Götter die Körper von Männern und Frauen. Berylina kümmerte es nur, weil es Pater Siritalanu in Verlegenheit gebracht hatte. Er hatte die Prinzessin besorgt angesehen, als könnte sie vielleicht von ihm erwarten, sie vor der Unanständigkeit der Situation zu beschützen.
Sie war kein Kind. Sie war eine Prinzessin von Liantine, das jüngste Mädchen in einer Familie mit vier Brüdern. Sie kannte die Art von Männern und Frauen.
Und sie wusste, dass sie nichts damit zu tun haben wollte.
Berylina strich mit den Fingern ihr grünes Caloyagewand entlang, und die Seide erwärmte sich an ihrer Haut. Die Tausend Götter forderten nicht von allen ihren Dienern, keusch zu sein. Männern und Frauen war es erlaubt, zu heiraten und im Dienste der Götter zu bleiben. Dennoch bewiesen die reinsten Gläubigen, der innere Kreis jener, die den Tausend treu blieben, ihre Hingabe, indem sie körperlich und im Herzen doch rein blieben. Sie blieben hingebungsvoll. Sie blieben stark. Berylina war entschlossen, zu ihnen zu gehören, den Tausend Göttern und dem Ersten Pilger Jair ihre Keuschheit zu weihen.
Und sie könnte ebenso gut hier an Jairs Geburtsort damit beginnen. Sie
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