Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
sein. Das Seil verlief vor ihr, stark und fest, und sie dachte, dass der sehende Gefolgsmann vor ihr gehen musste. Sie wollte eine Hand hinter sich ausstrecken, um nachzusehen, ob Tovin oder Mair als Nächstes kam, aber sie hatte keine Zeit dazu. Sie musste all ihre Aufmerksamkeit dem Gehen durch die Straßen der Stadt widmen.
Brianta war wie immer voller Pilger. Das Schwatzen ihrer vereinten Stimmen erinnerte Rani an die großen Markttage ihrer Kindheit, als Händler und Kunden aus allen Ecken der Welt kamen.
Dies war jedoch nicht Moren. Hitze strahlte vom Boden hoch, obwohl die Sonne schon vor Stunden untergegangen war. Rani konnte die gedrängten, heißen Körper riechen, und sie schmeckte Staub an der Rückseite ihrer Kehle.
Während sie durch die Straßen zogen, zwang sie sich, stetig zu gehen, ihre Füße zuversichtlich auf die Pflastersteine zu setzen. Sie bemühte sich, den scharfen Geruch verfaulenden Essens, den Gestank von Abfällen zu ignorieren. Zwischen den unerfreulichen Gerüchen waren auch sanftere Düfte erkennbar – ein Blumengarten schmiegte sich neben das Heiligtum irgendeines Waldgottes, der Duft frisch gebackenen Brotes, selbst zu dieser späten Stunde.
Es war schwierig, das Gefühl für Zeit und Raum weiterhin zu bewahren. Als Rani ihre Unterkunft verließ, hatte sie sich gesagt, dass sie ihre Schritte zählen müsse, die Biegungen ermessen müsse, die sie nahmen. Sie hoffte, dass Tovin und Mair es ihr gleichtaten. Sie könnten ihre Ergebnisse später vergleichen.
Aber solch naive Pläne wurden zunichtegemacht, während ihr geheimnisvoller Führer die Pilger immer tiefer in die Stadt hineintrieb. Brianta schien kein System zu besitzen, nichts von der Ordnung in Ranis Heimat. Es gab keine eindeutigen Viertel für die Kasten der Welt – eine solche Einteilung war am Geburtsort des Ersten Pilgers, der durch alle Kasten gereist war, nicht üblich.
Stattdessen verliefen die Straßen wahllos, eine Reihe nobler Adligenhäuser zum Marktplatz weisend, gedrungene Soldatenbaracken sich neben einer Kapelle auftürmend. Und es gab überall Kapellen – winzige Hütten, unbedeutenden Göttern geweiht, großartige Kirchen wie Herns, den bekanntesten der Tausend geweiht.
Rani erkannte, dass sie an vielen dieser Tempelgebäude vorbeigeführt wurde. Sie vermutete, dass ihr Führer Umwege nahm, sie zwei, drei oder sogar vier Mal zu einigen Orten brachte. Der Geruch von Rosen lag zu Beginn des Weges schwer in Ranis Nase, und in der Mitte, und als sie sich – wie sie hoffte – dem Ende des Weges näherten.
Und schließlich näherten sie sich tatsächlich dem Ende ihrer Wanderung. Sie kamen an einer steinernen Schwelle an. Rani spürte die Oberfläche unter ihren Füßen. Die Mauern des Gebäudes, das sie betraten, mussten dick sein, denn das Innere war gnädig kühl.
Kühl und still, und es war eine gewisse Feuchtigkeit spürbar, als sickere Wasser durch die Steinmauern. Rani atmete tief ein und wünschte, ihre Hände wären frei, damit sie sich den Schweiß abwischen könnte, der ihr Gesicht hinablief, der ihr Rückgrat hinabkroch und sie sich schütteln lassen wollte.
Es war jedoch keine Zeit für eine Ruhepause. Der Führer dirigierte sie einen langen Raum entlang, einen Raum, der leer zu sein schien, denn sie brauchten keine Möbel oder Altäre oder anderes Wirrwarr zu umgehen. Rani hörte am entgegengesetzten Ende des Raumes eine Tür sich schabend öffnen, und dann zog der Gefolgsmann an dem Seil und bedeutete ihr, dass sie hinabgehen sollte. Stufen. Eine. Zwei. Drei. Rani zählte, bevor sie wieder auf ebenen Boden traf und sich bei der unterwarteten Festigkeit des Bodens ein wenig das Knie stieß. Noch ein paar Schritte, noch eine Tür, noch ein großer Raum, so wie sich die Luft anfühlte.
Ein großer Raum mit vielen Menschen darin. Sie standen still, aber Rani konnte sie atmen hören. Sie konnte das leise Rascheln ausmachen, als sie von einem Fuß auf den anderen traten, während sie Rani und ihre Gefährten beobachteten.
Wie viele Menschen standen in dem Raum? Ein Dutzend? Mehr als das. Zwei Dutzend? Drei? Rani sehnte sich danach, ihre Augenbinde herunterzureißen, um die Mächte zu sehen, die gegen sie aufgeboten waren.
»Heil, Gefolgsleute.« Rani fuhr bei der Klangfülle der Stimme zusammen. Weiblich. Jung. Selbstsicher. Die Laute wohl gestaltet und geübt.
Also kein Unberührbaren-Mädchen. Wahrscheinlich auch keine Soldatin. Eine Händlerin? Eine Adlige? Eine Gildefrau? Wer führte
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