Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
die briantanische Gefolgschaft an?
Rani unterdrückte ein Schaudern, als ein weiterer Schweißtropfen ihr Rückgrat hinablief. Sie wollte nicht, dass die Sprecherin eine Gildefrau war, zumindest keine Glasmalerin. Sie hatte genug Probleme mit Meister Parion, ohne noch mehr Verwirrung der Treuezugehörigkeiten, einer weiteren Hierarchie.
Das Mädchen fuhr fort: »Wir heißen euch in Brianta willkommen, in der Heimat des Ersten Pilgers Jair. Aller Segen fließt von den Tausend Göttern durch Jair.«
»Aller Segen fließt von den Tausend Göttern durch Jair.« Der Segensspruch wurde von der versammelten Gefolgschaft wiederholt, und Rani konnte sich kaum beherrschen, bei den Stimmen um sie herum nicht zusammenzuzucken. Es waren mehr Menschen versammelt, als sie gedacht hatte. Ihre andächtige Verehrung klang viel lauter, als sie erwartet hatte. In Morenia waren stets mehrere Dutzend Gefolgsleute anwesend, vielleicht fünfzig. Hier waren es mehrere Hundert.
Siebenhundert Menschen, für eine Sache vereint, durch ihren Glauben und die Verehrung und den Glauben an eine höhere Ordnung zusammengeschweißt. Eine höhere Ordnung, als ihr König, ihre Adligen, sogar ihre Priester sie darstellten.
Rani hatte die Zerstörung gesehen, welche die Gefolgschaft in Morenia anrichten konnte. Sie hatte die Befehle bezeugt, die sie erlassen konnte, die Forderungen, die sie stellen konnte. Was würde die Organisation wohl tun, wenn sie fünf Mal, zehn Mal so mächtig war?
Rani erkannte schlagartig, dass sie es sich nicht leisten konnte, sich die briantanische Gefolgschaft als eine von der morenianischen abgesonderte Einheit vorzustellen. Diese Menschen stellten sich gegen die ganze Welt. Sie waren eine Macht, mit der man rechnen musste, über Länder hinweg, über Königreiche hinweg. Wie das Steinfundament, das eine ganze Reihe Händlerhäuser stützte, stützte die Gefolgschaft Hals Königreich und Jairs Heimatland und noch weitere.
Die Gefolgschaft war wie eine Zwiebel, mit vielen umeinander geschlossenen Schichten. Jedes Mal, wenn Rani den Kern ihrer Macht erkannt zu haben glaubte, erfuhr sie, dass darunter noch eine weitere Ebene wartete. Und jede Ebene war stärker als diejenige zuvor. Bösartiger. Gefährlicher. Rani befahl sich, sich zu konzentrieren, auf das zu achten, was gesagt wurde.
Sie musste das volle Ausmaß der Gefolgschaft, ihrer Macht, ihrer Pläne erfahren. Sie war immerhin ein Mitglied. Sie handelte aus eigenem, freiem Willen. Sie konnte die Richtung wählen, wie der mächtige Strom der Gefolgschaft um sie herum fließen sollte, und sie konnte ihre Geschwindigkeit innerhalb dieses Stroms kontrollieren.
»Im Namen Jairs«, sagte die junge Führerin, und etwas an ihrer Stimme verdeutlichte Rani, dass sie die Beschwörung wiederholen sollte.
»Im Namen Jairs«, sagte Rani.
»Also dann. Unter uns befinden sich drei unserer Mitglieder aus Morenia. Sie sind unserer Gefolgschaft verschworen, aber sie sind nicht mit unserer Art vertraut. Nehmt ihnen die Augenbinden ab, damit sie sehen können. Bindet ihre Hände los, damit sie fühlen können. Bringt sie in die Welt unserer Gefolgschaft, wie Kinder, die aus den Leibern ihrer Mütter auf die Welt gebracht werden.«
Rani kümmerte die Vorstellung ihrer Geburt nicht, der Schmerz und das Blut und die harte Arbeit, die diese Begriffe beinhalteten. Dennoch war sie dankbar, als sie einen anderen Gefolgsmann hinter sich spürte, und sie blinzelte heftig, als das Tuch von ihren Augen genommen wurde, als ihre Kapuze zurückgeschoben wurde.
Der Raum war noch größer, als sie erwartet hatte – lang und niedrig. Sie standen eindeutig unter irgendeiner großen Halle. Fackeln rauchten entlang den Wänden des Raumes, aber ihr Licht erreichte dessen Mitte nicht. Der dunkle Raum schien wegen der Körper, die ihn ausfüllten, noch enger.
Rani stellte eine rasche Berechnung an und merkte, dass die Anzahl noch größer war, als sie zunächst erwartet hatte. Es waren fast vierhundert Menschen in dem Raum. Vierhundert Verschwörer. Vierhundert gewandete, maskierte Gefolgsleute.
Vierhundert potentielle Verbündete, erinnerte Rani sich. Vierhundert Brüder.
Sie schaute zu Mair und Tovin, die neben ihr standen, und sah die Ehrfurcht auf ihren Gesichtern, Ehrfurcht, die sich auf ihrem eigenen Gesicht widerspiegeln musste. Dass sie die Gefolgsleute zählen konnte, die in dem Raum standen, bedeutete jedoch nicht, dass sie erkannt hätte, wer sie tatsächlich waren. Jeder Briantaner trug
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