Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
großen Schluck, sobald er den Becher auf den Tisch stellte. Sie hatte nicht erkannt, wie durstig sie gewesen war, als sie vor den König gezerrt wurde. Tovin wartete, bis sie fertig war, und reichte ihr dann seinen eigenen Becher, bot ihn ihr mit verzerrtem Lächeln dar. Sie nahm höflich an und trank ihn halb aus.
»Tovin«, sagte sie, genügend gestärkt, seinem Blick zu begegnen. »Ich habe dich vermisst.«
»Das sagst du jetzt. Ich bezweifle, dass du dir die Zeit genommen hast, deine Gefühle zu registrieren, als du noch im Norden warst.«
»Wie kannst du das sagen? Du weißt, dass ich nicht wollte, dass du gehst.«
»Ich weiß, dass du wolltest, dass ich bleibe. Und du wolltest allein sein. Du wolltest deine Gildearbeit und dein höfisches Leben verfolgen. Du wolltest mich wie eine Art Hund halten, ein ergebenes Tier, das an deiner Seite bliebe, bis du es in die Hundehütte schickst.«
»Oder in den Stall«, sagte sie, ohne zuerst nachzudenken. Tovin war kein Hund, kein ergebener, sklavischer Gefolgsmann. Er war eher ein Falke, ein kaum gezähmtes Raubtier, das vor ihr fliehen würde, wenn sie ihm auch nur halbwegs die Gelegenheit dazu gäbe. Das vor ihr geflohen war.
Sie hielt den Atem an, sich der Tatsache bewusst, dass ihre Worte als Kränkung aufgefasst werden könnten, dass sie ihm nun etwas schuldete, gleichgültig was sie sich sonst vielleicht gewünscht hätte.
»Oder in den Stall«, wiederholte er und lächelte. Ihr Körper reagierte auf dieses offene Lächeln. Sie entspannte sich und beugte sich zu ihm. Er seufzte und sagte: »Sollen wir uns mit Geschichten abgeben, mein Händlermädchen? Du sagst, dass du mich vermisst, und doch hast du mich nie gesucht.
Ich sage, dass niemand in Morenia meine Abwesenheit betrauert, und doch habe ich es vermieden, meiner Mutter, meiner Truppe, meiner Förderin Nachricht zu geben. Frieden?«
Sie wollte streiten. Sie wollte ihm sagen, dass er sich irrte, dass er selbstsüchtig war, dass er stur und töricht und eingebildet war. Stattdessen nickte sie. »Frieden«, sagte sie, aber sie musste sich über die Lippen lecken und das Wort wiederholen, damit er sie hören konnte.
»Also«, sagte er mit lebhafter Stimme. »Wirst du mir erzählen, was du in Sarmonia tust?«
»Nicht hier. Nicht jetzt.«
»Aber die Geschichten stimmen? Halaravilli wird verfolgt?«
Er stellte die Frage in abstrakter Form, als säße das fragliche Objekt nicht ein Dutzend Schritte entfernt. Sie errötete und wusste nicht, ob das an der Lüge lag, die sie den Wirtshausgästen darboten, oder an dem Feuer neben ihr, oder ob ihr das Ale zu Kopf gestiegen war. »Ja. Er wird verfolgt. Die Gerüchte besagen, dass er aus Moren geflohen ist. Dass er hofft, sich an einem sicheren Ort neu gruppieren zu können. Sobald es ihm gelungen ist, einen neuen Plan zu entwerfen, hofft er, Verbündete zu finden.«
Tovin nickte, als sprächen sie über das der Jahreszeit unangemessen warme Wetter. »Dann wäre er gut beraten, Sarmonia zu meiden. Hier gibt es keine Verbündeten. König Hamid ist durch Treueschwüre gebunden, die kein Morenianer je verstehen wird – gegenüber den Wahlmännern und den Landbesitzern.«
»Was genau bedeutet das?«, fragte Rani voll Neugier. »Die Landbesitzer?«
Tovin zuckte die Achseln. »Hier in Sarmonia darf jedermann, der zehn Hektar besitzt, seine Stimme abgeben. Er benennt einen Wahlmann, eine Art regionalen Lehnsherrn. Der Wahlmann trägt die Belange seiner Region dem König vor. Wenn ein alter König stirbt, versammeln sich die Wahlmänner und wählen den Nachfolger.«
»Wie sicher ist der König dann, wenn er allen diesen Leuten verpflichtet ist?«
»Ein Wahlmann kann jederzeit eine Wahl einberufen. Aber wenn er dies zu häufig tut, oder wenn die Forderung abgelehnt wird, dann wird er wahrscheinlich nicht lange Wahlmann bleiben.«
Rani nickte und versuchte, in dem fremdartigen Muster einen Sinn zu erkennen. Wahlmänner, die gehalten werden mussten. Landbesitzer, die zufrieden gestellt werden mussten. Ein König, der nach ihrem Gutdünken regierte, mit dem Ziel, ihr Glück zu bewahren, wobei er sich aber auch selbst vorwärtsbrachte. Ein König, der bereits mit Liantine handelte, der bereits eine Gauklertruppe aus jenem fernen Land aufgenommen hatte.
Und von dem wirren Gewebe führten Stränge fort, die Rani nicht einmal sehen konnte. »Die Gefolgschaft?« Sie riskierte die offene Frage, denn Informationen waren ihr wichtiger als vollkommene Sicherheit. »Bist du
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