Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
verschwenden, im Wald umherzuschleichen. Da sie in den ersten Tagen, nachdem Hals Anwesenheit offenbart worden war, nicht zugeschlagen hatten, sammelten sie eindeutig Kraft für ihren letzten großen Angriff. Sie bereiteten sich darauf vor, Hal und seine Blutlinie ein für alle Mal auszulöschen. Sie wären nicht damit zufrieden, ihn, allein, unter den Bäumen zu erledigen. Sie wollten den vollkommenen Sieg – vollkommen und ungetrübt – Hal, seine Frau, seinen Erben. Sie wollten vollkommene Kriegsführung. Rani war in Sicherheit. Zumindest eine Weile lang.
Es könnte sich jedoch noch jemand im Wald verbergen. Mair.
Rani hatte ihre Freundin seit der Begegnung auf der Lichtung nicht mehr gesehen, seit Rani ihre Rolle bei Laranifarsos Tod gestanden hatte. Die Wächter rund um das Lager hatten nichts bemerkt, kein Zeichen der Unberührbaren-Frau. Rani war überrascht. Sie konnte nicht glauben, dass Mair sie vollkommen im Stich lassen würde, nicht nach all ihren gemeinsamen Jahren, nicht nach all den Kämpfen, die sie ausgefochten hatten. Dennoch spürte sie ein angstvolles Schaudern, wenn sie sich vorstellte, dass Mair nachts über sie wachte. Die Unberührbaren-Frau würde ihr gewiss nichts tun, wenn sie schlief. Mair würde keine unmittelbare Rache für Lars Tod suchen.
Und doch musste Rani zugeben, dass sie nicht vollkommen sicher sein konnte. Sie kannte die Frau nicht, zu der Mair geworden war, die Verrückte, die wahnsinnige Mutter. Und daher versuchte sich Rani bei jedem Schritt auf dem Weg davon zu überzeugen, dass sie ihre Freundin aus den Schatten ins Licht treten sehen könnte, bereit, vom Lauern im Wald abzulassen, bereit, sich der zivilisierten Welt wieder anzuschließen.
Aber Mair war nirgendwo zu finden.
Als Rani auf Kellas Lichtung eintraf, war sie erleichtert. Sie drang aus der Finsternis des Waldbaldachins hervor und wandte ihr Gesicht der strahlenden Mittagssonne zu. Die Hütte funkelte im Licht. Ihr Stroh gedecktes Dach wirkte behaglich und fest, wie ein zu üppig gestopfter Strohsack. Die Fenster mit den Mittelpfosten blinkten, als würden sie irgendeine amüsante Geschichte verbergen. Ein Weg führte zur Tür, jeder runde Stein war von Schmutz freigefegt. Entlang des Weges verströmten blütenreiche Kräuter ihren Spätsommerduft:. Lavendel und Rosmarin dörrten in der Sonne.
Rani blieb jäh stehen und füllte ihre Lungen, ließ sich von der Schönheit trösten. Sie trat erst zur Tür, als das mörderische Kreischen einer Krähe das heitere Sonnenlicht durchschnitt.
Dennoch zögerte sie auf der Schwelle. Was wäre, wenn Kella erfahren hätte, dass sie von den Schwestern gesucht wurde? Was wäre, wenn der Hexensabbat bereits zu ihr gekommen war, heimlich, ohne dem morenianischen Lager seine Handlungen mitzuteilen? Was wäre, wenn Kella inzwischen wüsste, dass die Morenianer sie zu benutzen beabsichtigten, wusste, dass sie durch sie die Gefolgschaft erreichen wollten?
Unsinn. Die Schwestern hatte Kellas Verhalten erzürnt. Rani und Hal hatten nach ihrer seltsamen Nacht im Blue Rose ihre Erinnerungen verglichen. Obwohl ihre durch Drogen verzerrte Wahrnehmung völlig unterschiedlich gewesen war, hatten sie jedoch beide erkannt, dass die Kräuterhexen zornig auf Kella waren. Sie waren wütend, dass eine der Ihren eine Ratsuchende bedrohen sollte.
Eine Ratsuchende. Jemanden, der durch einen Vertrag gebunden war. Ranis Händlerherz verstand diesen Bund, verstand den Zorn darüber, dass eine Kräuterhexe einem Ratsuchenden schaden könnte, nachdem sie etwas anderes geschworen hatte. Während Rani sich erneut fragte, warum sich die Schwestern zurückhielten, klopfte sie an Kellas Tür.
Stille.
Sie klopfte erneut, überrascht darüber, wie hart sich das Holz unter ihren Knöcheln anfühlte. Ein seltsames Rascheln erklang in der Hütte, und dann nichts mehr. Rani wartete mehrere Atemzüge lang, und dann klopfte sie ein drittes Mal. Bevor sie ihre Hand wieder senken konnte, wurde die Tür aufgerissen. »Was?«, fragte Kella grob.
Rani verstellte sich wieder, entschlossen, die Hexe von Anfang an nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. »Erinnert Ihr Euch an mich? Ich bin Rani Händlerin. Ich kam hierher, als Ihr Pater Siritalanu geholfen habt.«
»Ich erinnere mich an Euch.« Die Kräuterhexe blinzelte misstrauisch und trat einen halben Schritt vor, als wollte sie Rani daran hindern, in ihre Hütte zu schauen. Rani glaubte hinter dem Misstrauen eine flüchtige Empfindung zu erkennen. Angst?
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