Die gläserne Gruft
Dresden eintreffen werden.«
Dagmar verdrehte die Augen. Sie blies die Luft aus. Es war ihr anzusehen, dass sie sich den weiteren Fortgang des Geburtstags nicht so vorgestellt hatte.
»Ausgerechnet jetzt!«, zischte sie mir zu. »Aber ich habe es mir fast gedacht. Man kann nicht mal seinen Frieden haben. Wochenlang tote Hose und jetzt kommt der Hammer.«
»Was können wir tun?«
»Bestimmt nicht absagen.«
»Ja, das denke ich auch.«
Harry hatte sein Gespräch beendet. Glücklich sah er nicht aus. Mit einer langsamen Bewegung stellte er den Hörer zurück auf die Station, lachte und schüttelte zugleich den Kopf.
»Der Job hat uns wieder. Ich muss nach Dresden. Oder wir müssen hin, Dagmar. Wir können zusammen fahren.«
»Toll. Und das jetzt.«
»Worum geht es denn?«, fragte ich, als ich sah, dass Dagmar Hansen schmollte.
»Um Mord.«
»Gut, verstanden. Aber ist das dein Metier, Harry?«
»Eigentlich nicht. Es kommt nur darauf an, wie der Mord durchgeführt wurde und von welchen Umständen er begleitet wurde.«
»Aha«, sagte ich nur.
Harry lächelte, als er sich wieder niederließ. Er schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet an meinem Geburtstag taucht plötzlich eine Gestalt in einem alten Gräberfeld auf, die einem Menschen wohl mit einem Beil den Kopf abschlägt.«
»Bitte?«, flüsterte Dagmar.
»Ja, du hast richtig gehört. Das genau ist passiert. Mitten in Dresden auf dem Neumarkt. Praktisch zwischen der Frauenkirche und dem Hilton-Hotel. Dort hat man eine Tiefgarage bauen wollen, stieß aber auf ein historisches Gräberfeld, was natürlich einer kleinen Sensation glich. Und dort ist eben der Mord passiert. Da wurde einem Wachmann der Kopf abgeschlagen, und die Kollegen sind ratlos.«
»Gab es Zeugen?«, fragte ich.
»Nein. Oder vielleicht. Ein Kollege hat den Toten gefunden, und er muss auch etwas gesehen haben. Hinzu kommen noch andere Unstimmigkeiten. Jedenfalls ist mein Chef der Meinung, dass es ein Fall für mich ist.«
»Für uns«, korrigierte Dagmar.
»Warum nicht auch für mich?«, fragte ich und lächelte dabei. »Ich bin lange nicht mehr in Dresden gewesen. Mich würde es wirklich interessieren, der Stadt mal wieder einen Besuch abzustatten.«
»Aber du hast Urlaub und...«
»Nur Wochenende«, sagte ich zu Harry. »Außerdem ist Dresden eine wunderschöne Stadt.«
»Ja, das stimmt.«
»Dann sollten wir morgen früh losfahren.«
Dagmar und Harry sagten nichts. Sie hoben nur die Schultern. Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps, glaubte ich ihren Gesten entnehmen zu können.
***
Die Autofahrt nach Dresden würde sich hinziehen. Immer über die A4 in Richtung Osten, durch Hessen, Thüringen und Sachsen. Im Hilton-Hotel, praktisch am Schauplatz des Geschehens, hatten wir Zimmer bestellt. Während der Fahrt telefonierte Harry Stahl viel, während ich auf der Rückbank des Opel Sigma saß und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen konnte.
Ich wollte mich nicht beschweren und genoss sogar die Fahrt. Ich sah von der Autobahn aus die berühmte Wartburg und den hellen Schnee auf den Bergen.
Zum Glück war der Tag recht sonnig. Es gab weder Schnee- noch Graupelschauer. Dafür war es kalt und frostig. Aber es schien die Sonne von einem fast wolkenlosen Himmel.
Der Verkehr reichte nicht aus, um es zu Staubildungen kommen zu lassen, und ich stellte fest, dass in den letzten Jahren hier verdammt viel an Straßen ausgebaut worden war. Ich hatte früher mal schreckliche Baustellen erlebt, die Zeit war vorbei.
Wir erreichten Dresden tatsächlich kurz nach Mittag. Der Opel war geschnurrt wie ein Löwe. Er hatte die Kilometer gefressen ohne zu murren.
Einmal hatten wir eine Pause in einer Raststätte eingelegt, wo der Kaffee für meinen Geschmack leider etwas bitter gewesen war.
Dann rollten wir nach Dresden ein und fuhren in Richtung Innenstadt. Der glatte Belag der Fahrbahn verschwand. Es war zu hören, dass wir über Kopfsteinpflaster fuhren.
Wieder schaute ich aus dem Fenster. Die Semperoper, der Zwinger, die Brühl’schen Terrassen, das alles hatte ich schon gesehen, doch es lag Jahre zurück.
Dagmar Hansen berichtete mir von der Dresdener Neustadt jenseits der Augustusbrücke. Dort war ein tolles Viertel entstanden, über das man nur staunen konnte.
»Vielleicht kommen wir ja hin.«
»Ansehen solltest du es dir auf jeden Fall.«
Durch einige schmale Gassen lenkte Harry den Sigma dem Neumarkt entgegen.
Die Frauenkirche war nicht zu übersehen. Sie würde bald in
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