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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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beriet sich der Fürst mit Corradino bei einem Glas Valpolicella über die Farbpigmente und ihre Preise. Als der alte Mann schließlich aufblickte und seine Tochter mit einem «Da bist du ja, meine Liebe» begrüßte, wusste Corradino nicht, wie ihm geschah.
    Sie war eine Offenbarung.
    Ihr blondes Haar glänzte wie gesponnenes Gold. Ihre grünen Augen glichen Blättern im Frühlingsregen. Sie hatte die Haltung einer Göttin. Die Principessa war eine Vision in Blau - im Licht des Morgens und der Sonnentupfer, die das Wasser reflektierte, schimmerte die Seide ihres Brautkleides in hundert verschiedenen Schattierungen.
    Was die Principessa anging, so war sie genauestens darüber informiert, mit wem sie es zu tun hatte und welcher Ruf Corradino vorauseilte. Sie hatte sich schon lange danach gesehnt, den Künstler, von dem alle Welt sprach, kennenzulernen. Überrascht stellte sie fest, dass er noch sehr jung war - nicht viel älter als zwanzig, schätzte sie. Außerdem sah er recht gut aus mit seinen dunklen Augen und den Locken. Sein Gesicht, von der Hitze der Öfen ständig gebräunt, erinnerte sie an die streng wirkenden, dunklen Ikonen, die bei der Messe in der Basilica di San Marco ernst aus ihren edelsteinbesetzten Rahmen blickten. Corradinos Wert, das wusste   sie, war so unschätzbar wie der der Ikonen mit all ihren Edelsteinen.
    Angelina musste daran denken, wie sie im Jahr zuvor mit einem Grüppchen Auserwählter in den Dogenpalast, den Palazzo Ducale, geladen worden war, um ein einzigartiges, sagenumwobenes Geschöpf zu besichtigen. Es wurde Camelopard genannt, Giraffa camelopard alis, und war eine Leihgabe eines afrikanischen Königs. Der Name hatte der Principessa nichts gesagt, doch als sie, hinter ihrer Maske versteckt, einen Blick auf das Tier warf, durchströmte sie eine heftige Erregung. Riesengroß, gefleckt wie ein Harlekin, mit einem unglaublich langen Hals, schritt das Geschöpf langsam im Kreis herum, und die Strahlen der Sonne, die durch die Fenster des Palazzo fielen, warfen ein Muster auf sein Fell. Die weiträumige Sala del Maggior Consiglio, der Saal des Großen Rates, mit ihren prachtvollen Wandgemälden, den Goldfresken und der höchsten Decke in ganz Venedig schien als einziger Raum geeignet, das phantastische Wesen auszustellen. Von der Decke blickten sechsundsiebzig ehemalige Dogen von Venedig, gemalt vom großen Veronese, ungerührt auf die Szene herab. Ihr jetziger Nachfolger saß, mit dem corno - einer Kappe mit hornartiger Spitze und einem kronenartigen Metallring - geschmückt, staunend auf seinem Thron und flüsterte seiner Gemahlin hinter vorgehaltener beringter Hand etwas zu. Währenddessen erforschte die fremdartige, stumme Kreatur mit ihrer schlangenartigen schwarzen Zunge oben an der Wand einen scharlachroten Wandbehang, worauf das Publikum entzückte Laute ausstieß. Dann hob das Tier seinen Schwanz, ließ einen Batzen Dung auf den unschätzbar wertvollen Boden fallen und trat anschließend hinein. Die Damen kicherten und kreischten, während die   Herren in schallendes Gelächter ausbrachen. Angelina hielt sich ein Blumensträußchen unter die Nase, um den strengen Geruch zu vertreiben, doch ihre Aufregung und Faszination waren ungebrochen. Sie spürte, dass sie hier etwas wahrhaft Ungewöhnliches, etwas Einzigartiges zu sehen bekam. Dabei spielte es für sie keine Rolle, ob der Camelopard schön war oder nicht. Wäre das Tier zu verkaufen gewesen, sie hätte ihren Vater gebeten, es für sie zu erstehen.
    Jetzt, da sie Corradino anschaute, hatte sie das gleiche Gefühl. Es war nicht ausschlaggebend, dass er jung und gut aussehend war. Er war etwas Ungewöhnliches und Einzigartiges, das allein zählte für sie. Sie musste ihn haben.
    Als Angelina dei Vescovi Corradino zulächelte, war in seinen Gedanken kein Platz mehr für die Glaspigmente.
    Doch die kamen ihm schnell genug wieder in den Sinn. In den Monaten bis zur Hochzeit musste er sogar sehr häufig zum Palazzo dei Vescovi fahren, um diese überaus wichtigen Pigmente zu erörtern. Zuweilen sah er dabei auch den Fürsten, aber meist traf er die Principessa allein an. Selbstverständlich ging es jedes Mal um äußerst wichtige Angelegenheiten, die gründlich besprochen werden wollten.
    Eine Woche vor der Hochzeit stellte sich heraus, dass die Principessa Angelina dei Vescovi schwanger war. Ihre Kammerzofe, die ihr im Auftrag des Fürsten nachspionierte, untersuchte die Laken ihrer Herrin, die auch dann schneeweiß

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