Die Glasblaeserin von Murano
blieben, als Angelinas Monatsregel anstand. Die Zofe erstattete dem Fürsten von der Schwangerschaft Bericht, kaum dass Angelina selbst davon wusste. Die Verlobung wurde unter dem Vorwand einer Erkrankung aufgelöst, und der Fürst schickte Angelina in aller Heimlichkeit auf seine Güter nach Vicenza, wo sie bis zur Entbindung bleiben sollte. In dem Versuch, den Ruf seiner Tochter zu retten, drohte der Fürst seinen Dienstboten mit dem Tode, sollte auch nur ein Wort von Angelinas Schande nach außen dringen. Als Corradino wieder einmal einen seiner Besuche im Palast machte, um Angelina zu treffen, erwarteten ihn bereits zwei Bedienstete des Fürsten, die ihn umgehend in dessen Studierzimmer eskortierten. In einem kurzen, unerfreulichen Gespräch ließ Nunzio dei Vescovi Corradino wissen, dass er sein Leben aufs Spiel setzen würde, wenn er noch ein einziges Mal versuchen sollte, Angelina zu sehen, oder auch nur in der Stadt weilte. Die harten Worte des Fürsten verletzten Corradinos Stolz empfindlich. Nun stand er nicht mehr auf gleicher Stufe mit den Adeligen wie zu der Zeit, als er im Palast wohl gelitten war. Er musste erkennen, dass seine Talente im Vergleich zu den Reichtümern und dem Stand des Fürsten, dessen Freundschaft er für immer verloren hatte, nichts zählten. In den folgenden Jahren vermochte er sich nicht mehr an all die bitteren Sätze des Fürsten zu erinnern, doch einige blieben ihm unauslöschlich im Gedächtnis haften.
Eine Szene sah Corradino noch Jahre später vor sich: Nachdem Nunzios erste Wut abgeklungen war, war er ans Fenster getreten und hatte auf die Lagune hinausgeschaut. Mit leiser, müder Stimme hatte er gesagt: «Manchmal,
die kostbaren Wandbehänge abgerissen oder von Ratten angenagt. Kein Diener war mehr im Haus, und als Corradino die morsche Treppe nach oben stieg, ahnte er bereits den Grund.
Bei dem beißenden Gestank, der im Krankenzimmer herrschte, wurde Corradino schlecht. Vor Schmerzen gekrümmt und in eine schmutzige Decke gehüllt lag Nunzio dei Vescovi auf dem Bett, das halbe Gesicht von der «male francese», der «Franzosenkrankheit», zerfressen. Er starb an Syphilis. Doch dann fing das Wesen dort auf dem Bett, das einmal ein mächtiger Fürst gewesen war, an, keuchende Laute auszustoßen. Es dauerte eine Weile, bis Corradino ihn verstand. Nunzios Gesicht war nur noch rohes Fleisch, und da der Krankheit ein Großteil seiner Lippen zum Opfer gefallen war, konnte er die meisten Laute nicht mehr bilden.
«... ino.» Eine klauenartige Hand wies zum Tischchen neben dem Bett hinüber. Darauf standen eine Weinkaraffe und ein verstaubter Trinkbecher, dessen Boden nur noch eine halb eingetrocknete, zähflüssige Neige bedeckte. Gott allein mochte wissen, wie lange sich keine menschliche Seele mehr um den Mann gekümmert hatte.
Corradino bekreuzigte sich und goss Wein ein. Eine tote Wespe fiel mit ins Glas, doch das war jetzt gleichgültig. Unter sichtlichen Schmerzen stützte sich der Fürst auf einen Ellbogen und trank, wobei ihm der Wein wie Blut aus dem zerstörten Mund rann. Corradino wusste, dass dei Vescovi nicht mehr lange zu leben hatte, also stellte er nur eine einzige Frage: «Angelina?»
«... ot.»
Corradino wandte sich zum Gehen. Obwohl er sich schon gedacht hatte, dass Angelina etwas zugestoßen war, war es ein Schock, dies aus dem Munde des Fürsten zu hören. Er sehnte sich danach, allein zu sein. Nunzio würde er einen Priester schicken; mehr konnte er nicht tun.
«... ei... eburt.»
Corradino blieb stehen und drehte sich um.
«Sie hat ein Kind bekommen?», fragte er ungläubig.
«In ... ieta. Nie-an erzäh-n, E-e ... Ehre der ... amilie. Nie-an.»
Nun gut, das konnte er versprechen. Er nickte zur Bestätigung, dass er das Geheimnis wahren würde.
«Und der Name des Kindes?» «... eonora ... anin.»
Das war der Gipfel der Ironie.
Sie trägt meinen Namen.
Corradino sah zu, wie Nunzio starb, gleich nachdem dieser sein Gewissen erleichtert hatte. Um den Fürsten vergoss er keine Träne, und auch der Schmerz, der ihn überfallen hatte, als er von Angelinas Tod erfuhr, ließ bereits nach. Das rührte vermutlich daher, dass er zwei Jahre lang auf Murano um sie getrauert hatte. Außerdem hatte er sie - wie ihm langsam klar wurde - mehr um ihrer Schönheit als um ihrer selbst willen geliebt. Doch als er zur Santa Maria della Pietä ging, um die anderthalbjährige Leonora Manin aufzusuchen, verliebte er sich zum ersten Mal in seinem
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