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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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wusste Corradino wenig über Frankreich. Er hatte wenig Lust, dorthin zu gehen.
    Mein Vater und meine Onkel haben mich ermahnt, dass ich unser Versteck nicht verlassen darf, nicht einmal für einen winzigen Augenblick.
    Doch als die Tage vergingen, ohne dass jemand kam und sie suchte, fühlten sich alle langsam ein wenig sicherer. Corradinos Neugier kam wieder zum Vorschein und machte es ihm schwer, in ihrem Versteck zu bleiben.
    Ich will alles erkunden.
    Am dritten Tag wartete Corradino, bis seine Mutter mit ihrer Toilette beschäftigt war. Dann schob er den Riegel der wackeligen Tür zurück und trat hinaus ins Freie. Er befand sich in einem kleinen Gässchen, an dessen Ende er den Kanal sehen konnte. Corradino machte sich auf den Weg dorthin, schlenderte am Ufer des Kanals entlang und hatte vor, sich die Boote anzusehen und mit Steinen nach den Möwen zu werfen. Bald jedoch nahm er wieder den Geruch wahr, der ihm schon bei seiner Ankunft aufgefallen war. Er ging ihm nach und gelangte zu einem großen roten Gebäude, dessen Frontseite zum Wasser lag.
    Aus den Schleusentoren, die in das Gebäude führten, drang Qualm. Neben einem der Torflügel stand ein Mann und schnappte ein wenig frische Luft. Der Mann war ungefähr im Alter seines Vaters, schätzte Corradino. Er trug Kniebundhosen, aber kein Hemd, und hatte an jedem Handgelenk ein breites Lederarmband. In einer Hand hielt er eine lange Stange, an deren Ende offenbar ein Stück glühende Kohle saß. Er zwinkerte Corradino zu. «Buon giorno.»
    Corradino war sich nicht sicher, ob er mit dem Mann sprechen durfte. Schließlich war er nur ein einfacher Handwerker. Aber ihm gefiel sein Zwinkern.
    Corradino verbeugte sich, wie man es ihm beigebracht hatte. «Piacere.»
    Der Mann lachte. «Ah, uno piccolo Signore.»
    Corradino hatte das Gefühl, dass sich der Fremde über ihn lustig machte und er jetzt eigentlich hoch erhobenen Hauptes weggehen sollte. Doch seine Neugier siegte - er wollte unbedingt wissen, was der Mann dort tat. Er zeigte auf die Kohle. «Was ist das?»
    «Das ist Glas, Euer Majestät.»
    Corradino hörte den Spott, doch die Stimme war freundlich.
    «Aber Glas ist doch hell.»
    «Ja, wenn es erwachsen ist. Wenn es gerade erst geboren ist, sieht es so aus wie das hier.»
    Der Mann tauchte die Kohle ins Wasser, wo sie ein wütendes Zischen von sich gab. Als er sie wieder herauszog, war sie hell und klar. Corradino schaute interessiert zu. Dann fiel ihm sein Lieblingsspielzeug ein. «Ich hatte mal ein Glaspferd.»
    Der Mann sah interessiert auf. «Und wo ist es jetzt?»
    Auf einmal war Corradino zum Weinen zumute. Das kaputte Glaspferd erinnerte ihn daran, was er in den vergangenen Tagen alles verloren hatte: sein Zuhause - sowohl den Palazzo als auch die Stadt Venedig -, sein ganzes altes Leben. «Es ist zerbrochen.»
    Ein sanfter Ausdruck trat in die Augen des Mannes. «Komm mit mir.» Er reichte Corradino die Hand, doch der zögerte. Da verbeugte sich der Glasbläser formvollendet und sagte: «Mein Name ist Giacomo del Piero.»
    Jetzt fühlte sich Corradino etwas sicherer. «Corrado Manin. Man nennt mich Corradino.»
    Corradino legte seine kleine, weiche Hand in die große, raue des Mannes und ließ sich von ihm in das Gebäude führen. Der Junge war ganz verblüfft über den Anblick, der sich ihm bot.
    Überall waren Feuer in eiserne Löcher mit Türen davor gebannt. An jeder der Türen arbeitete mindestens ein Mann, ohne Hemd, mit Stangen und glühenden Kohlen. Die Männer setzten die Stangen an die Lippen, als wollten sie trinken, doch beim näheren Hinschauen sah Corradino, dass sie hineinbliesen.
    Das erinnert mich an ein Gemälde, das ich einmal gesehen habe, als mein Vater und ich den Dogen in seinem Palast besuchten. Es zeigte die vier Winde, wie sie mit geblähten Pausbacken eine Flotte venezianischer Schiffe in den sicheren Hafen beim Arsenale blasen. Diese Männer hier sehen genauso aus.
    Während sie bliesen, wurden die glühenden Glaskolben immer größer und veränderten ihre Form, bis Corradino erkannte, was daraus werden sollte - Vasen, Leuchter, Schüsseln. Einige der Männer arbeiteten mit Scheren, andere mit Holzpaddeln. Überall rannten kleine Jungen umher, die etwas holten oder trugen und die nicht viel älter waren als er selbst. Auch sie hatten keine Hemden an. Corradino wurde langsam heiß.
    Giacomo bemerkte es. «Du solltest deinen Mantel ausziehen.    Er sieht teuer aus. Deine Mama wird böse sein, wenn du ihn dir

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