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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Fischhändlern durchaus geläufig waren, mit denen Corradino aber auf Wunsch der Herrin eigentlich nicht in Berührung kommen sollte. Heute jedoch starrten die Augen der Fische ihn drohend an, und Corradino drückte sich eng an seine Mutter. Er kannte den venezianischen Ausdruck «gesund und munter wie ein Fisch im Wasser», doch diese Fische waren nicht gesund. Sie waren tot.
    Ein dritter Mann war nun zu seinem Vater und Monsieur Loisy getreten. Er trug weder Maske noch Umhang, und Corradino konnte an seiner Kleidung und den Schuppen an seinen Händen erkennen, dass er ein Fischer war. Die drei Männer gestikulierten, und ein lederner Geldbeutel wechselte den Besitzer. Dann gab Corrado seiner Familie einen Wink, ihm zum hinteren Teil des überdachten Marktes zu folgen. Dort stand eine große Fischkiste bereit, und Corradino sah verdutzt zu, wie seine Mutter sich auf das blutige Stroh legte.
    «Mach schon, Corradino», drängte ihn sein Vater. «Ich habe dir doch gesagt, es ist ein Abenteuer.»
    Corradino schmiegte sich in die Arme seiner Mutter und spürte gleich darauf, wie sich seine Onkel und sein Vater ebenfalls zu ihnen zwängten. Er musste an die Fische denken, die vor ihnen starr und zusammengepresst in dieser Kiste gelegen hatten.
    Jetzt sind wir auch Fische.
    Als sich der Deckel über ihnen geschlossen hatte, sah Corradino durch die Latten das Gesicht seines Lehrers. «Au revoir, petit.»
    Corradino fühlte sich durch diese Worte ein wenig aufgemuntert. Er liebte seinen Lehrer und beherrschte die französische Sprache für sein Alter ausgezeichnet. Falls Monsieur Loisy damit rechnete, ihn nie wieder zu sehen, hätte er doch gewiss die endgültigere Abschiedsformel «adieu» gewählt, anstatt «auf Wiedersehen» zu sagen.
    Der Junge schmiegte sich noch dichter an seine Mutter und konnte trotz des starken Fischgeruches ihren Vanilleduft ausmachen. Er spürte, wie die Kiste angehoben wurde und dann schwankte, als befänden sie sich auf dem Wasser. Bald schlief er ein.
    Corradino erwachte von einem stechenden Schmerz   in der Seite und versuchte, sich ein wenig zu bewegen. Gleich darauf verriet ein kräftiger Stoß, dass sie angelegt hatten. Dann wurde der Deckel der Kiste aufgebrochen. Zerzaust und stinkend kletterten Corradino und seine Familie hinaus und blinzelte im Licht des frühen Morgens. Als er sich umschaute, erblickte er eine kleine Ansammlung roter Häuser am Ufer des Kanals und auf der anderen Seite in der Ferne die Kuppeln der Basilica di San Marco. Diesen Blick auf Venedig hatte er noch nie gehabt, es war wunderschön anzusehen. Das Wasser der Lagune war silbern gesprenkelt, wie die Fische, deren Geruch er noch immer in der Nase hatte. Er sah, dass seine Onkel Azolo und Ugolino mit dem Fischer sprachen. Onkel Ugolino wirkte krank. Vielleicht vom Fischgeruch, dachte Corradino. Doch nun roch er noch etwas anderes - einen strengen, scharfen, geradezu brenzligen Geruch. «Wo sind wir?», fragte er seine Mutter.
    «Auf Murano», gab sie zur Antwort. «Da, wo sie das Glas machen.»
    Da fiel ihm etwas ein. Corradino langte in sein Wams, wo er vorhin den Schmerz gespürt hatte. Er zog das Glaspferdchen heraus - es war zerbrochen.
    Ich habe dieses Haus so satt.
    Es kam Corradino so vor, als sei er schon seit Jahren hier eingesperrt, dabei wusste er ganz genau, dass es erst zwei Tage waren. Bei dem Haus handelte es sich um einen winzigen, getünchten Schuppen mit nur einem Obergeschoss und vier Kammern. Nicht im Entferntesten das, was er sonst gewohnt war. Es war langweilig.
    Corradino wusste nun schon viel mehr über ihre Flucht als noch vor zwei Tagen. Einen Teil davon hatte man ihm erzählt, den Rest hatte er sich zusammengereimt.
    Ich weiß, dass dieses Haus dem Fischer gehört, den Vater auf   der Pescheria getroffen hat, er wurde dafür bezahlt, dass er uns in der Kiste hierher brachte und versteckt hält. Mein Vater hat Schwierigkeiten mit dem Dogen, aber Onkel Ugolino hat es noch rechtzeitig erfahren und ihn gewarnt, dass wir fliehen müssen. Auch Monsieur Loisy hat uns geholfen - er hat die Begegnung zwischen meinem Vater und dem Fischer auf dem Fischmarkt arrangiert und vorgeschlagen, dass wir nach Murano fahren, weil von hier aus Glas nach Frankreich geliefert wird. Monsieur Loisy hat Freunde in Frankreich, die uns helfen können, und wir müssen uns ein Weilchen auf Murano verstecken, bis man uns hinausschmuggeln kann. Nach Frankreich.
    Trotz Monsieur Loisys Begeisterung für sein Heimatland

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