einen Mietvertrag für zwölf Monate unterzeichnet, da rief Alessandro das Lagerhaus in Mestre an und rang dem Eigentümer tatsächlich das Versprechen ab, Leonoras Sachen - ganz gegen herkömmliche Gepflogenheiten - am nächsten Tag, einem Sonntag, anzuliefern. Cousin und Cousine boten beide netterweise ihre Hilfe beim Einräumen der Möbel an.
Leonora, die den Schlüssel zur neuen Wohnung bereits in der Tasche hatte, ging zusammen mit Alessandro zu ihrem Hotel, um ihr Zimmer zu kündigen. Er hatte anscheinend nichts anderes vor. Während sie durch die Gassen liefen, unterhielten sie sich angeregt über die heilige italienische Dreifaltigkeit - Kunst, Essen und Fußball. Als sie Leonoras Gepäck und ein paar Vorräte für den nächsten Tag in die neue Wohnung gebracht hatten, gewann diese zu ihrem Erstaunen allmählich den Eindruck, als sei Alessandro gern mit ihr zusammen. Ihre Verwirrung, aber auch ihre Freude wuchsen noch, als er bei hereinbrechender Dämmerung so sachlich und kurz angebunden, wie es für ihn typisch war, sagte: «Sollen wir noch etwas trinken gehen? Es gibt schließlich etwas zu feiern, und ich kenne ein gutes Lokal.»
Leonora zog eine Augenbraue hoch. «So gut wie das
?», fragte sie herausfordernd.
Er lachte. «Es gibt gar nichts Besseres als das Lokal, das ich im Kopf habe. Es ist ein Paradies, im wahrsten Sinne des Wortes.»
Sie schaute ihn misstrauisch an. Doch seine Augen blickten weder berechnend noch lüstern.
Ich weiß, ich sollte nicht mit ihm gehen. Aber ich weiß auch, dass ich es trotzdem tun werde.
An den Samstagabenden ging es im Paradies immer laut zu. Leonora, die an der Theke gegen Alessandro gepresst wurde, musste ihm ihre Bestellung trotzdem ins Ohr brüllen. Er orderte vier Flaschen Peroni («das spart Zeit») und führte Leonora dann an einem langen Tisch vorbei, der wie eine Refektoriumstafel aussah und mit jungen, auffällig gestylten Bohemiens besetzt war. Alessandro fand zwei freie, einander gegenüberliegende Plätze in einer dunklen Nische, die nur durch die unvermeidliche Kerze in der Weinflasche erleuchtet wurde. Die gesamte Flasche war mit einer dicken Schicht aus bunten Wachstropfen überzogen. Leonora begann sofort an der erstarrten Masse zu zupfen, das tat sie oft. Dicht neben ihr saß ein vielfach gepiercter junger Bursche, der in schnellem Venezianisch über den Tisch hinweg auf seine ebenfalls gepiercte Freundin einredete. Alessandro nahm einen Zug von seinem Peroni, und Leonora betrachtete ihn. Es war in der Nische ein wenig ruhiger, doch sie musste immer noch sehr laut reden, damit er sie verstand. «Wo sind wir hier?»
«Ich war nicht ganz ehrlich zu Ihnen», antwortete er lächelnd. «Das ist nicht das Paradies, sondern das - das verlorene Paradies. Es ist vermutlich die einzige Nachtbar in Venedig, und sie ist immer voller Studenten. Hier herrscht zwar ein ziemliches Gedränge, aber zumindest bekommt man auch noch nach Mitternacht etwas zu trinken.»
Leonora schaute mit einem etwas kläglichen Gesichtsausdruck in ihr Bierglas. Das verlorene Paradies.
Habe ich mein Paradies verloren? Waren Stephen und Belmont mein Paradies? Oder werde ich hier ein neues finden?
Als habe er ihre Gedanken gelesen, fragte Alessandro plötzlich: «Warum hat Ihr Mann Sie verlassen?»
Leonora verschluckte sich beinahe an ihrem Peroni. Sie wunderte sich jeden Tag von neuem, wie geradeheraus die Venezianer waren. Man sollte meinen, sie wären ebenso umständlich wie die Straßenführung ihrer Stadt oder ihre Bürokratie. Doch das stimmte nicht. Erst am Morgen hatte die Kellnerin in dem Cafe, wo Nora immer zu frühstücken pflegte, sie gefragt, ob sie daheim eine amore habe. Der Portier in ihrem Hotel wiederum, dieser freundliche, onkelhafte Herr, hatte mittlerweile alles über ihren Familienstand und ihre Kinderlosigkeit in Erfahrung gebracht. Und jetzt stellte ihr dieser sonst so korrekte Mann eine solch persönliche Frage. Um Zeit zu gewinnen und sich wieder zu fassen, berührte Leonora das gläserne Herz an ihrem Hals.
«Woher wissen Sie, dass er mich verlassen hat?»
Alessandro lehnte sich gelassen in seinem Stuhl zurück. «Sie haben eine weiße Linie um den Finger, an dem einmal Ihr Ehering saß. Und der Finger hat ein wenig seine Form verändert, hinter dem Knöchel ist er ein bisschen schmaler. Das heißt, Sie haben den Ring mehrere Jahre lang getragen. Und Sie sind traurig. Außerdem sind Sie hier - ich denke, wenn