Die Glasblaeserin von Murano
vielen Dank.»
Wieder lächelte er, dann setzte er eine ernste, geschäftsmäßige Miene auf. «Hat Ihr Chef das Formular unterschrieben?»
«Ja.»
«Bringen Sie es nächste Woche vorbei, damit wir die Sache mit der Arbeitserlaubnis endgültig erledigen. Und wenn Sie dann schon eine Wohnung haben, bekommen Sie auch Ihren permesso di soggiorno.» Er tat ihren Dank mit einer beiläufigen Handbewegung ab.
Nach einer Pause begann Leonora erneut: «Darf ich Sie etwas fragen?»
Er nickte.
«Mir scheint, dass Sie für die Angelegenheit bedeutend weniger Zeit brauchen als die anderen Beamten. Woher kommt das?»
Alessandro seufzte. «Ich verabscheue Papierkram, also bringe ich diese Arbeit so schnell wie möglich hinter mich. Meine Kollegen hassen diese Tätigkeiten genauso wie ich, aber sie stapeln die Anträge auf ihren Schreibtischen, in der Hoffnung, dass sich der ganze Berg irgendwann einfach in Luft auflöst. Sehen Sie» - er zog ein paar Blätter aus der Tasche und breitete sie auf dem Tisch aus -, «man muss eben effektiv arbeiten.» Vor ihr lagen Fotokopien mit Abbildungen von Häusern und Detailangaben wie von einem Grundstücksmakler. «Meine Cousine Marta hat mir die Schlüssel für diese vier Wohnungen gegeben. Wir sehen sie uns gleich an, und wenn Ihnen eine davon gefällt, können Sie noch heute Abend einziehen.»
«Heute Abend schon?»
«Überrascht Sie das?»
Leonora schüttelte ein wenig verwirrt den Kopf.
«Es ist bloß so, dass ich seit einem Monat versuche, eine Wohnung zu bekommen, und immer gab es Probleme, Verzögerungen, Formulare ...» Dieser außergewöhnliche Mann schien mit allen eingefahrenen Strukturen Venedigs brechen zu wollen. Alles war plötzlich so einfach.
«Das ist eben der Vorteil, wenn man einen Einheimischen kennt», sagte Alessandro lächelnd, der ihre Gedanken zu erraten schien. «Diese hier sollten Sie sich, glaube ich, zuerst ansehen. Sie liegt ganz in der Nähe.» Er zeigte auf eine der vier Wohnungen, zwei Zimmer in einem hübschen dreistöckigen Haus. Leonora schaute auf die Adresse -Campo Manin.
Die Wohnung lag im Obergeschoss eines großen Hauses, das schon bessere Tage gesehen hatte. Leonora, die ein Faible für alte Häuser hatte, faszinierte das schön verzierte Treppenhaus sehr. Obwohl die Wohnungen alle mit zeitgemäßen Feuerschutztüren versehen waren, hatte das Treppenhaus seinen Charme behalten. Leonora berührte den abblätternden türkisgrünen Anstrich. Als er und die Vergoldungen noch neu gewesen waren - hatten da wohl Familienporträts an diesen Wänden gehangen und über die Dienstboten und Herrschaften gewacht, die treppauf und treppab eilten? Wie als Antwort auf ein leises Wispern sagte sie: «Corradino ...»
Alessandro mühte sich gerade mit der Türverriegelung von Wohnung 3C ab. «Was haben Sie gesagt?»
«Ach, nichts.» Es war noch zu früh, um ihm zu verraten, dass ihr bester Freund in Venedig der Geist ihres Vorfahren war. «Ich habe nur gerade überlegt, ob hier wohl früher auch Manins wohnten.»
Alessandro, dessen Aufmerksamkeit noch immer von der Tür in Anspruch genommen wurde, zuckte die Achseln. «Das ist schon möglich. Sehr gut möglich sogar. Aha ...» Jetzt hatte er es geschafft, die Tür zu öffnen, und Leonora folgte ihm in die Wohnung. Sie war schlicht und spärlich möbliert, besaß jedoch nach vorne hinaus zwei riesige Fenster, die auf den Campo hinausgingen. Das Beste aber war die kleine Dachterrasse, zu der eine wackelige Wendeltreppe hinaufführte. Von dort oben hatte man einen herrlichen Blick auf das Dächergewirr von Venedig. Leonora lehnte sich über die baufällige Balustrade und schaute auf den Campanile in der Ferne. Sie hörte Glocken läuten.
Hier will ich leben. Das habe ich schon gewusst, als ich durch die Tür trat.
Wie schon zuvor war Leonora verblüfft über Alessandros handfeste Art, die Dinge anzugehen. Nachdem sie ihm ihre Entscheidung, die Wohnung mieten zu wollen, mitgeteilt hatte, zog er sofort sein Handy hervor und setzte seine Cousine mit ein paar schnellen Worten ins Bild. Sie hatten gerade erst das einfache Badezimmer besichtigt («Erwarten Sie nicht, dass es hier immer heißes Wasser gibt, nicht in Venedig»), als auch schon Cousine Marta erschien. Sie war eine nette, sachlich wirkende Frau mit Brille und kurzen Haaren, die nichts von der Attraktivität ihres Vetters besaß. Sie setzte sich mit Leonora an den sauber geschrubbten Tisch und besprach die Einzelheiten.
Kaum hatte Leonora
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