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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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ockerfarbenen Mauern erblickte, das friedlich in der Abendsonne zu dösen schien. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu den obersten beiden Fenstern hinauf - ihren Fenstern.
    Es war das erste Zuhause, das ganz und gar ihr gehörte. Hier brauchte sie auf niemanden Rücksicht zu nehmen und sich keinem anzupassen, weder ihrer Mutter mit ihren Fachbüchern und den wertvollen Drucken noch den hippiehaften Kunststudenten, mit denen sie die Wohnung geteilt hatte. Und auch nicht Stephen mit seinen wuchtigen, langweiligen Antiquitäten und den zart getönten Wänden. Sie wollte ihre Wohnung im Laufe der Zeit nach ihrem eigenen Geschmack einrichten, mit den Farben, Stoffen und Gegenständen, die zu ihrem neuen Leben passten.
    Allein, aber keineswegs einsam, begann Leonora an den Wochenenden die Märkte der Stadt zu durchstöbern und Dinge zu sammeln, die für sie Venedig verkörperten. In den kleinen, dunklen, versteckten Läden der Accademia ging sie auf Schatzsuche und trug ihre Beute ebenso triumphierend heim wie vermutlich seinerzeit Marco Polo die Reichtümer des Orients. Sie stellte die dunkle Holzschale, die sie auf dem Campo San Vio gefunden hatte, auf den Küchentisch und füllte sie mit duftenden Zitronen von den Marktbooten von San Barnaba. Die gewaltige steinerne Zehe, die von einer unbekannten    Statue stammte und so schwer war, dass Leonora sie anliefern lassen musste, diente jetzt als Türstopper für die Küchentür. Leonora verbrachte lange Stunden damit, Farbkarten zu studieren und die Wände zu streichen. Ihr Schlafzimmer bekam einen Anstrich in demselben Türkisgrün wie das Treppenhaus, dessen Farbe möglicherweise noch aus der Zeit Corradinos stammte. Außerdem versah Leonora die Wände mit einer goldfarbenen Borte und goldenen Wandleuchtern. Sie machte ein riesiges Kastenbett aus Mahagoni ausfindig und stattete es mit weichen Kissen und einer Tagesdecke aus cremefarbener Burano-Spitze aus. Die Wohnküche strich Leonora glühend rot. Sie brachte über dem Spülbecken ein Mosaik aus kleinen Kacheln an, die wie buntes Glas aussahen. Bei der Räumung eines Hauses entdeckte sie einen großen alten Holzblock, dessen dunkle Oberfläche noch die Spuren von Schnitzereien trug. Offensichtlich war er einst Teil eines Palasttores gewesen, jetzt sollte er ihr gute Dienste als Hackbrett leisten.
    Auf der gereinigten Terrasse verlegte sie Terrakottafliesen aus Florenz. Sie versah das Geländer zur Sicherheit mit einem Drahtgeflecht und kaufte viele Töpfe, die kurz darauf, mit bunten, duftenden Blumen bepflanzt, wie stämmige Männchen die ganze Terrasse bevölkerten. In einige von ihnen pflanzte sie Küchenkräuter, darunter auch Basilikum, das sie häufig verwendete und daher direkt auf das Fensterbrett vor dem Küchenfenster stellte.
    Leonora und der Topf mit Basilikum. Ich kann mich noch an Keats' Gedicht über Isabella erinnern, das wir in der Schule durchgenommen haben. Sie versteckte den Kopf ihres toten Geliebten unter dem Basilikum in einem Blumentopf Ganz schön verrückt, dieser Keats. Aber noch schlimmer war sein gemeingefährlicher Freund Lord Byron - auch er hat hier gelebt und    geliebt. Der warf doch tatsächlich seine Geliebten in den Canal Grande, wenn er sie leid war. Bin ich nicht auch so weggeworfen worden? Werde ich ihn jemals wiedersehen?
    Leonoras Glasarbeiten aus der Cork Street schlummerten, sorgsam verpackt, im Küchenschrank vor sich hin. Sie erschienen ihr mittlerweile zu steril, zu wenig phantasievoll. Stattdessen stellte sie ein paar flache Windlichter in leuchtenden Grundfarben - schlichte Anfängerstücke, die sie auf Murano geblasen hatte -, mit flackernden Teelichtern bestückt, entlang der Terrassenbrüstung auf. Sie beschloss, keine Möbel auf die Terrasse zu stellen, da sie ohnehin keine Gäste erwartete, sondern kaufte lediglich mehrere dicke, üppige Seidenkissen, bunt und leuchtend wie Edelsteine, auf denen sie sich an sonnigen Abenden mit einem Glas Prosecco in der Hand räkelte. Zuweilen blieb sie dort draußen, bis es kühl wurde und die Sterne herauskamen. Die Sterne wirkten hier größer. In London schienen sie viel weiter entfernt, ihr Licht durch die Schicht aus Smog und Staub gebrochen. Hier in Venedig neigten sie sich förmlich zu ihr herab, bis Leonora das Gefühl hatte, sie wie eine reife Frucht abpflücken zu können. Und der Himmel war dunkelblau wie der Umhang der Madonna.
    Ab und an schaute ihre Vermieterin Marta vorbei, meistens wegen kleinerer Dinge, die

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