Die Glasblaeserin von Murano
die Wohnung betrafen. Dann tranken die beiden Frauen ein Glas Wein zusammen und begannen zaghaft, Freundschaft zu schließen. Einmal brachte Marta einen duftenden venezianischen Eintopf aus Fisch und Bohnen in einem warmen Steinguttopf mit. Bei ihrer gemeinsamen Mahlzeit und einer Flasche Wein verriet Marta Leonora das Geheimnis der venezianischen Küche. «Sie ist ganz einfach», erklärte sie. «Hier sagt man: . Nie mehr als fünf. Das heißt, dass man nie mehr Zutaten verwenden soll, als Finger an einer Hand sind.»
Leonora nickte ein wenig abwesend. Sie musste sich zusammenreißen, um sich nicht nach Alessandro zu erkundigen.
Alessandro.
Als die Wohnungsausstattung immer mehr Gestalt annahm und auch die Arbeit in der Fondaria Fortschritte machte, redete sich Leonora ein, dass sie glücklich sei. Sie war Glasbläserin. Sie lebte in einem wahren Schmuckstück von Wohnung, inmitten dieser wunderbaren Stadt. Doch an jenem Samstag, als sie das letzte Stück für ihr Heim anschaffte, musste sie schließlich der Wahrheit ins Auge sehen.
Sie war zu einem Laden gegangen, der bei der Accademia-Brücke hinter der chiesa San Giorgio lag, um nach etwas zu suchen, das sie über ihr Bett hängen konnte. Und da war es - ganz hinten an der Wand, hinter Schränken, Büsten und Lampenschirmen verborgen, hing ein Bild Unserer Lieben Frau vom Heiligen Herzen. Mit heiterem Blick hielt die Madonna ein brennendes Herz in ihren Händen, flammend rot vor ihrem tiefblauen Umhang. Leonora kaufte das Bild auf der Stelle, brachte es heim und hängte es auf. Genau das war es, das hatte gefehlt. Und dann wurde ihr plötzlich alles klar.
Auch mein Herz steht in Flammen.
Es war nur ein Kuss gewesen, und in den vier Wochen danach hatte er sie weder angerufen noch sich sehen lassen. Dabei sehnte sie sich so sehr danach, Alessandro wiederzusehen! Leonora hatte nur wenig von Dante gelesen, doch an eine Zeile (ausgerechnet aus dem «Neuen Leben») erinnerte sie sich gut: «... und sie, mit Beben, aß still mein glühend Herz.» Genau so war ihr zumute - als habe sie sich ein brennendes Herz einverleibt, das nun heiß und verzehrend in ihrer Brust pochte. Sie hatte solche Sehnsucht nach Alessandro. Nach der Trennung von Stephen war es ihr vorgekommen, als sei ihr Herz so hart und kalt geworden wie das gläserne Herz, das um ihren Hals hing.
Aber nein, selbst dieses Glasherz, das nun schon mehr als dreihundert fünfzig Jahre lang überdauert hat, würde schmelzen, wenn ich es ins Feuer legte.
Und dann, gerade als ihre Wohnung vollständig eingerichtet war, kam er. An jenem Samstagabend riss ein scharrendes Geräusch sie aus ihren Tagträumen. Als ihr klar wurde, dass es ihre eigene Türklingel war, öffnete sie -und stand Alessandro gegenüber. Lächelnd wedelte er in der einen Hand mit ihrer Arbeitserlaubnis und der Aufenthaltsgenehmigung, und in der anderen Hand hielt er eine Flasche Valpolicella. Er äußerte sich nicht dazu, warum er sich so lange nicht hatte blicken lassen, sondern kam, wie es für ihn typisch war, gleich zur Sache.
«Sollen wir irgendwohin essen gehen? Ich kenne ein Lokal, das dir gefallen wird.»
Leonora war sprachlos vor Überraschung. Gott sei Dank hatte sie wenigstens das Richtige angezogen - an diesem heißen Tag trug sie ein weißes Häkelkleid. In dem Versuch, sich ihre Freude nicht allzu deutlich anmerken zu lassen, zog sie eine Braue hoch. «Noch ein Cousin?»
Er lachte. «Ja, tatsächlich.»
Sie betrachtete ihn prüfend. Er schwenkte die Papiere wie eine weiße Fahne.
Seite an Seite gingen sie durch die engen Calli zur Trattoria. Ihre Hände berührten einander, und ehe Leonora sichs versah, ergriff er mit seiner warmen Hand die ihre. Schon während ihrer Kindheit hatte Leonora es nicht gemocht, wenn jemand ihre Hand hielt, und das hatte sich später fortgesetzt, war es nun ihre Mutter oder später Stephen gewesen. Voller Ungeduld hatte sie immer nur darauf gewartet, dass sie loslassen konnte, ohne den anderen vor den Kopf zu stoßen. Jetzt machte es ihr zum ersten Mal nicht das Geringste aus. Sie lösten ihre Finger nur voneinander, um sich einen Weg durch das überfüllte Speiselokal zu bahnen.
Alessandro wurde vom Proprietario wie ein lange und sehnsüchtig vermisster Bruder willkommen geheißen. «Niccolö, mein Cousin», murmelte Alessandro, während Leonora bereits mit zwei herzhaften Begrüßungsküssen bedacht wurde. Das waren keine angedeuteten Küsschen wie auf der
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