Die Glasblaeserin von Murano
herausgeputzt und in Szene gesetzt zu werden. Die ganzen letzten Wochen waren eine einzige Geduldsprobe gewesen - man hatte sie bei der Arbeit, zu Hause und sogar im historischen Kostüm fotografiert. Widerwillig musste sie zugeben, dass sie in den fertigen Werbeanzeigen und auf den Plakaten wirklich recht hübsch aussah. Auf jeden Fall waren die Bilder geschmackvoller als die ersten Entwürfe, die die Mailänder vorgelegt hatten. Sie waren auf die Idee gekommen, Corradino in moderner und Leonora in historischer Umgebung zu zeigen. Zunächst hatte sich Leonora diesem Vorschlag widersetzt, doch am Ende waren durchaus vernünftige, ja sogar interessante Ergebnisse dabei herausgekommen. Eines der Bilder zeigte ein modernes Cafe, in dem ein Pärchen Wein aus den eleganten Gläsern der neuen «Manin-Serie» trank. Es war eine Szene aus dem heutigen Leben, doch wenn man in den «Manin-Spiegel» schaute, der neben dem Tisch hing, erblickte man darin die Schankstube des «Do Mori» um 1640 mit Gästen in zeitgenössischen Kostümen und einer Fotomontage des jungen Corradino an einem der Tische. Leonora fand es ein wenig unheimlich, aber auch faszinierend, wie das Bild «Die Arnolfini-Hochzeit», bei der ja auch das Spiegelbild den Mittelpunkt bildete.
Leonora stand für den Fortschritt in Adelinos traditionsreichem Geschäft. Ein Foto, im Stil der alten venezianischen Meister gehalten, zeigte sie in moderner Kleidung inmitten zahlreicher Glaswaren und Spiegel. Auf einem anderen posierte sie in einem grüngoldenen Kostüm des siebzehnten Jahrhunderts. Wie bei den gefragtesten Kurtisanen jener Zeit umschmeichelte ihr Haar sie in goldenen Wellen, und ihre elfenbeinfarbene Haut zeigte die feinen Haarrisse alter Temperafarbe. Durch die Bildbearbeitung am Computer wirkten Farben und Oberfläche wie auf einem echten Gemälde. Dann wieder war sie in einem Spiegel zu sehen. Doch anstelle eines Fächers oder Blumenstraußes hielt sie ihre Arbeitsgeräte in den Händen.
Aber wie geschmackvoll die Anzeigen auch sein mochten, angesichts der gewaltigen Werbemaschinerie, die da in Gang gesetzt wurde, fühlte sich Leonora immer beklommener. Sie wusste, dass Adelino nicht nur sein ganzes noch verbliebenes Geld in diese Kampagne gesteckt, sondern abermals hohe Kredite dafür aufgenommen hatte. Für diesen einen verzweifelten Versuch hatte er sich erneut bis über beide Ohren verschuldet.
Daneben machte Leonora die wachsende Verachtung ihrer Kollegen zu schaffen. Mit vor Scham brennendem Gesicht stellte sie sich für die Aufnahmen vor dem Glasofen in Positur, während die anderen Arbeiter zu ihnen herübersahen. Im Zentrum dieser Ablehnung stand immer Roberto, dessen Wut und zunehmender Hass sich nur allzu deutlich auf seinem Gesicht widerspiegelten. Er war ganz offensichtlich der Meinung, dass nicht Leonora, sondern er selbst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen sollte. Sie wusste, dass er versucht hatte, den Mailändern seine eigene Familiengeschichte schmackhaft zu machen, doch Semi und Chiara hatten ihn abblitzen lassen. Und das war etwas, was Roberto ganz und gar nicht vertragen konnte ...
Leonora, die noch immer an der Brüstung lehnte, spürte, wie der Wind auffrischte. Während sie ihren Blick über die Touristen schweifen ließ, fiel ihr eine elegant gekleidete Frau auf, die gerade energischen Schrittes den Platz überquerte. Ihre hohen Stilettoabsätze knallten auf das Pflaster.
Das ist keine Touristin, sondern sie ist ganz eindeutig von hier.
Sie trug ein dunkelblaues, hervorragend geschneidertes Kostüm mit einer Jacke, die in der Taille schmal geschnitten war, und einem Rock, der gerade so lang war, dass es nicht billig wirkte. Ihr Haar, das ihr genau bis auf die Schultern reichte, glänzte im Sonnenlicht blauschwarz. Sie hatte eine Sonnenbrille auf, die den Blick unwillkürlich auf ihre leuchtend roten Lippen lenkte. Wie selbstverständlich und ohne erkennbare Regung nahm sie die bewundernden Bemerkungen einer Hand voll Bauarbeiter zur Kenntnis, die an der Brücke beschäftigt waren.
Diese Frau würde zu Semi und Chiara sagen, dass sie sich zum Teufel scheren sollen.
Leonora blickte der Frau nach, bis sie aus ihrem Gesichtsfeld verschwand. Wenige Sekunden später ertönte das vertraute Scharren ihrer Türklingel. Mit klopfendem Herzen lief Leonora die Wendeltreppe hinab. Insgeheim hoffte sie jedes Mal, wenn es klingelte, es sei Alessandro.
Doch er war es nicht. Vor der Tür stand die Frau, die gerade über den
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