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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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wenn er nun sein Wissen weitergab, war es ihm, als gebe er etwas sehr Kostbares auf - einen Teil seiner selbst.
    Dieses Wissen hat mir das Leben gerettet, denn nur um seinetwillen haben mich die Zehn verschont. Und der König hat keine Mühen gescheut. Wenn ich es erst aus der Hand gegeben habe - was schützt mich dann noch vor dem König?
    Würde Ludwig ihn aus dem Weg räumen lassen, sobald er, Corradino, sein Geheimnis verraten hatte? Auf diese Frage würde er erst mit der Zeit eine Antwort bekommen. Was blieb dem Glasbläser in der Zwischenzeit anderes übrig, als sein Wissen zu teilen? Man würde Leonora nur holen, wenn er seinen Teil der Übereinkunft einhielt. Die Aussicht, sie eines Tages bei sich zu haben und zudem noch in Freiheit leben zu können, ließ alle Ängste und Zweifel in den Hintergrund treten. Gegen seinen Willen kamen ihm Dantes Verse in den Sinn. Er musste daran denken, dass sein Namensvetter in «II Purgatorio» von einem französischen König getötet wurde.    Corradino, der unglückliche Fürst von Sizilien, wurde nach einem missglückten Staatsstreich von Charles von Anjou hingerichtet.
    Als Corradino sich jedoch umwandte und in Jacques' warme braune Augen blickte, las er darin Begeisterung und Eifer und die gleiche Liebe für sein Gewerbe, die er selbst empfand. Sofort fühlte er sich getröstet und schob die düsteren Gedanken beiseite. Er hatte keinen eigenen Sohn, an den er sein Wissen weitergeben konnte, und würde vielleicht nie einen haben. Also war dies die einzige Gelegenheit, einen jungen Menschen in die Geheimnisse der Glasbläserkunst einzuweihen.
    Natürlich gibt es Leonora. Doch eine Frau ist noch niemals Glasbläserin gewesen, und das wird sich auch nie ändern.
    Alles, was er sich für seine Tochter erhoffte, war eine gute Heirat und das glückliche Familienleben, das ihm selbst nicht vergönnt gewesen war.
    «Also los», sagte er mit fester Stimme zu Jacques, «fangen wir an.»
    Er nahm die größte Glasmacherpfeife zur Hand. Als er den Gluthauch des Ofens auf seinem Gesicht spürte, gingen ihm seine Lieblingsverse aus Dantes «Inferno» durch den Kopf:
    «So sah ich von der Glut den Boden röten;
    Wie unterm Stahle schwamm, entglomm der Sand.»
    Auch jetzt färbte sich der Sand rötlich, als Corradino mit seiner Pfeife eine große Menge Glasschmelze aus dem Feuer holte und unter ständigem Drehen den Külbel blies.
    Jacques blickte verwirrt drein und fragte schüchtern: «Maitre, ich dachte, wir wollten einen Spiegel machen und nicht Glas blasen.»
    Ohne mit dem Blasen aufzuhören, warf Corradino ihm aus zusammengekniffenen Augen einen verschmitzten Blick zu.
    Als der Külbel fertig war, übernahm ihn Corradino mit dem Pontil. Dann trug er ihn hinüber zum Wasserbottich und ließ ihn wie eine längliche Boje auf der Wasseroberfläche treiben. Als die Glasblase ein wenig abgekühlt war, nahm er ein scharfes Messer zur Hand und machte einen raschen Längsschnitt durch das zylinderförmige Gebilde, das sich daraufhin zu beiden Seiten glatt auf das Wasser legte. Dabei erhärtete das bernsteinfarbene Glas langsam zu einer glatten Scheibe.
    «Das ist es also», brach Jacques flüsternd sein ehrfürchtiges Schweigen. «So wird es also gemacht.»
    Corradino ging in die Knie und prüfte die Glasplatte im Wasserbottich mit geübtem Blick. Er nickte. «Ja. So wird es gemacht. Ich habe es durch reinen Zufall entdeckt. Nur so kann man eine große Glasscheibe von gleichmäßiger Stärke herstellen.»
    «Und wozu das Wasser?»
    «Eine unbewegte Wasseroberfläche, wo sie sich auch befinden mag, ist immer vollkommen glatt und eben. Wie ein natürlicher Spiegel. Selbst wenn man das Gefäß ankippt, bildet das Wasser darin wieder eine glatte Fläche. Ich hoffe nur, dass sich mit dem Wasser eures verpesteten Flusses genauso gutes Glas machen lässt wie mit dem süßen acqua aus der Lagune von Venedig. Und jetzt müssen wir das Neugeborene kleiden.» Vorsichtig hob er die abgekühlte Scheibe hoch und legte sie in einen daneben stehenden Bottich, in den er eine geschmolzene Silberverbindung gegeben hatte, die selbst wie ein Spiegel wirkte. «Das hier ist Quecksilber mit Silbersulfat», erklärte Corradino. «Doch bildet es nur eine dünne Schicht, unter der sich ebenfalls Wasser befindet.» «Warum das, Maitre?»
    «Weil diese Silberverbindungen sehr kostspielig sind. Selbst euer König wäre nicht verschwenderisch genug, um einen ganzen Bottich damit füllen zu lassen. Aber die dünne

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