Die Glasfresser
antwortet nicht, kritisiert kurz darauf seine
Frau: Du liest die Repubblica, sagt er zu ihr, ich lese die Unità . Die Repubblica ist heuchlerisch, wer weiß, was sie verbirgt, die Unità ist aufrichtig, Organ der kommunistischen Partei steht darauf.
Die Geschichte geht verworren weiter. Draußen, hinter den Vorhängen, muss eine sengende Hitze herrschen, ab und zu hört man ein Hupen, eine Stimme, vereinzelte Geräusche des Sommers; ich schlürfe langsam meine Orangenlimonade. Ein paarmal wendet sich meine Cousine mir zu und fragt mich mit den Augen, wie es mir geht; mit den Augen antworte ich ihr, dass es mir gut geht. Und das stimmt, der Film gefällt mir. Nicht weil er gut ist, das ist er nicht, sondern weil er ein Katalog von 1978 ist, seiner Möglichkeiten und seiner Ticks. Aufs Geratewohl losgehen und so tun, als gäbe es eine Strategie, die jammernde Selbstkritik, das endlos wiederkäuende Gerede. Mit seiner krummen Gestalt, dem grauen Bart und Schnurrbart des umherirrenden Propheten, dem das Filmlicht einen Nimbus um den Kopf zaubert, ist Tornès mein Alter Ego als alter Mann: Ein Prediger, der durch die Wüste zieht und sinnlose Sätze ruft.
Als der Film zu Ende ist, schaltet der Freund meiner Cousine den Projektor aus, löst die Klebestreifen, zieht die Vorhänge zurück und reißt die Fenster auf. Die geblendeten Augen schließen sich halb, filtern, gewöhnen sich, öffnen sich wieder normal. Jetzt müsste man etwas sagen, zumindest wartet der Freund meiner Cousine zuversichtlich, doch es gibt keinen Kommentar, kein Stimmengewirr, die Diskussion über das ganze Konzept wird nur angerissen und gleich verschoben, das Meer ist einen Schritt weit entfernt, und es wird lange hell sein. Also erhebt man sich, sammelt die Strandtücher und Sandalen auf, schlüpft wieder in die Espadrilles und die Dr. Scholl’s. Gesten, Schulterklopfen, Händeschütteln, Triumph des Dialekts, Witze, Andeutungen und mit einem Gefühl, dass etwas ungelöst bleibt, einem Gefühl des Elends, das nicht vergeht, bricht man auf.
Vorher muss ich zur Toilette. Der Freund meiner Cousine zeigt auf eine Tür, fragt, ob ich Hilfe brauche. Ich sehe ihn fest an und er betrachtet von oben, aber nur ein bisschen von oben,
meinen Kopf und wie er leuchtet. Ich antworte ihm nicht, mache die Tür auf und gehe hinein. Ich nehme ein wenig Toilettenpapier und gebrauche es, um die Klobrille hochzuheben, werfe es in die Toilette, knöpfe mir die kurzen Hosen auf, und als ich anfange zu pinkeln, kommt durch das halb geöffnete Fenster eine Biene herein. Sie dreht zwei unbestimmte Runden, konzentriert sich dann auf meinen Penis. Sie fliegt um ihn herum, nimmt ihn wahr, betrachtet ihn, während ich sie beobachte, ihren Flug, die Form der Bahnen, die Schleifen, die plötzlichen Abweichungen, das Zurückfliegen und die Spiralen, wie sie die Luft um meinen Penis und den gebogenen Strahl herum zusammennäht. Ich frage mich, ob sie mir etwas sagen will, ob sie einer anderen Biene, die ich nicht sehe, etwas sagen will oder ob sie nicht vielleicht einen Monolog hält. Politisch. Existenziell. Während ich mit einem weiteren Stück Toilettenpapier meine Eichel säubere, verschwindet die Biene, nachdem sie mit dreimaligem Summen ihre Erkundung abgeschlossen hat, wieder durch den Spalt zwischen Fenster und Rahmen. Ich knöpfe die Hosen zu, wasche mir die Hände und gehe zu meiner Cousine zurück, die an der Tür auf mich wartet. Zu Hause suche ich nach einem Buch, das ich im letzten Jahr zu lesen begonnen habe, kann es aber nirgendwo finden; ich gehe in die Küche und frage die Schnur. Sie hat mir den Rücken zugewandt, macht sich am Abfluss zu schaffen und sagt, es müsse in Palermo sein; ich bitte sie, es mir mitzubringen, wenn sie in die Stadt fährt. Sie nickt, die Hände noch immer fest um das Abflussrohr geklammert.
Am nächsten Tag kommt das Buch. Die Sprache der sozialen Bienen . Ich lese es noch einmal von vorne, am Strand, am Rand des Holzstegs sitzend, während hinter mir die Leute von der Bar zurückkommen und in den Händen gebackene Calzoni halten, deren Füllung wie Ochsenzungen an der Seite heraushängt, und von gelbem Öl durchtränkte Fleischkroketten; im Vorbeigehen streifen sie mich mit den Füßen, doch ich ignoriere sie.
Auf dem Umschlag ist das Foto dreier Wächterbienen vor dem Eingang des Bienenstocks. Drei Köpfe mit konvexen Augen, die
wie winzige Schilde aussehen, mehrere Beinpaare und doppelte Flügel. Hinter ihnen ist alles schwarz;
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