Die Glasfresser
Sesam, nach Ofen - und geht in die Küche. Der Lappen bleibt in der Tür stehen, den Kopf zur Seite gelegt: Irgendwie wirkt er zur Abwechslung kaputt. Und er geht nicht weg. Also drehe ich mich um, mache kleine Schritte zum Bidet, behindert durch die heruntergelassenen Schlafanzug- und Unterhosen, und als ich mich bücke, um das Handtuch zu nehmen, habe ich plötzlich den Lappen im Rücken, der mir den Hintern anhaucht, ich fahre herum und denke, er ist verrückt.
Den Rest des Vormittags lese ich das Buch und mache mir Notizen in ein Heft, auch Zeichnungen. Ich stelle die Flugbahnen dar, schreibe mir auf, wozu sie dienen; ich zeichne menschliche Körper in verschiedenen Positionen und versehe sie mit weiteren Anmerkungen. Um die Mittagszeit rufe ich Scarmiglia an, der zu Hause geblieben ist, und frage ihn, ob er nach Mondello kommen kann. Wir verabreden uns für vier Uhr. Ich sage ihm, er soll Platten und Zeitschriften mitbringen; er stellt mir keine Fragen, sagt: »Bis später.« Dann rufe ich Bocca an, der drei Wochen bei seinen Großeltern verbracht hat und jetzt auch hier in Mondello ist. Ich erzähle ihm von der Verabredung, den Zeitschriften und den Platten.
»Die hören wir dann an«, sagt er und freut sich.
Während ich warte, lese ich weiter. Ich möchte das Buch zu Ende lesen, unterbreche aber ständig, um etwas zu notieren, fertige noch mehr Zeichnungen an und komme nicht sehr weit. Um vier erscheint Bocca mit zwei vollen Taschen, dann Scarmiglia, der alles unter einen Arm geklemmt hat. Er hat keinen einzigen Tag am Meer verbracht und ist kalkweiß.
Wir setzen uns ans Ende des Gartenwegs hinter dem Haus um den blauen Tisch herum. Nicht weit von uns entfernt spielt der
Lappen an einem Campingtisch allein Memory, während das Skelett der Hollywoodschaukel - die Katzen haben den Stoff zerfetzt und Schaumgummi herausgerissen - sich langsam hin- und herbewegt.
Die Katzen verstecken sich in der Hecke vor der Mauer, die unser Haus hier hinten vom Nachbarhaus trennt. Wenn mich niemand sieht, strecke ich die Arme in die Hecke und suche nach Katzenjungen: Beim Herumtasten zerkratze ich mich, bis ich schließlich eins gepackt kriege, hole es dann heraus und sehe ihm ins Gesicht. Das Junge zieht sich zusammen, versteift sich, faucht und versucht sich an die Zweige zu klammern; ich halte seine Vorderpfoten fest und besehe mir die Panik in seinen Augen. Es atmet schnell in meiner Hand, auch die Augen atmen, explodieren und verschwinden. Fast alle Jungen wehren sich und versuchen zu entkommen, doch es gibt einige, die sich einfach ergeben und weich die Pfoten einziehen. Dann schnüffle ich an ihnen - sie riechen nach Staub und nach Blättern - und packe sie mit dem Mund im Nacken. Nur für einen Moment, nur um zu wissen, wie es ist. Wenn ich sie dann wieder herunterlasse, ist es, als kehrten sie mit einem Mal aus einem Zauber zurück und würden sich schämen. Einen Augenblick bevor sie weglaufen, wenden sie sich um und starren mich mit einem Ausdruck an, in dem noch Panik ist, aber auch Dankbarkeit.
Wir sitzen um den Tisch herum und mustern uns gegenseitig. So lebendig und so unwirklich. In den vergangenen Wochen haben wir ständig trainiert, jeder für sich. Scarmiglias Züge sind schärfer geworden, an seinen Armen zeichnen sich Muskeln ab. Bocca hat einiges an Gewicht verloren, er hat sich aus seinem alten Körper geschält und ist zu Proportionen zurückgekehrt, die er sich selbst nicht hätte träumen lassen. Ich sehe mir seine Hände an, seine Knöchel, einen nach dem anderen, die kleinen Vertiefungen zwischen einem Fingerknöchel und dem nächsten, wo man die Monate zählt. Auch ich habe noch zwei Kilo abgenommen, die Haut um meine Augen herum ist eingefallen und dunkler geworden. Wir haben alle drei noch rasierte Köpfe.
Die Schnur bringt uns Coca-Cola und Orangenlimonade, Wasser für den Lappen. In der Hecke knackt es, kleine Ästchen brechen, es raschelt in den Blättern; ich bekomme mit, wie sich da unruhig etwas bewegt, und spüre, wie es mich reizt, doch ich bleibe sitzen, nehme das Buch und zeige es: Bocca buchstabiert den Titel, Scarmiglia zieht es mir langsam aus den Händen.
Ich beginne zu erzählen, wie das soziale System der Bienen funktioniert. Die Kasten, die Rollen, wie jede Biene weniger ein individueller Körper als Teil eines größeren Ganzen ist. Wie der Ameisenhaufen bei den Ameisen oder der Termitenhügel bei den Termiten. Jedes Individuum ist allenfalls eine Zelle: notwendig, doch
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