Die Glasfresser
schneiden, macht mechanische Geräusche oder Tierstimmen nach, fleht den Papagei an, ihn das Geld gewinnen zu lassen. Man ist sich für keine Idiotie zu schade, um Geld zu gewinnen. Die Italiener sprechen mit Tieren, um reich zu werden, jeder ein heiliger Franziskus, der sich kaufen lässt. Doch der Papagei schweigt, beobachtet und schweigt, und alle bleiben arm. Und dann macht er etwas mit seinem Körper, sein Rücken sackt zwischen den Federn ein: Angewidert versteckt er sich. »Sich verstecken« wird also diese Bewegung sein: der Kopf, der zwischen den Schultern einsinkt.
Drei Meter von uns liegt ein vergessener Zoomball. Das Oval aus orangefarbenem Plastik - eine Art Rugbyball, durch den zwei Kordeln laufen - ist halb im Sand versunken. Scarmiglia holt ihn, entwirrt die Kordeln, hält das eine Ende mit den beiden Griffen Bocca hin, macht ein paar Schritte zurück, spreizt plötzlich, mit den beiden anderen Griffen in den Händen, die Arme und schleudert den Ball auf Bocca zu, der ihn mit Schwung zurückschickt - und so weiter, bis die Kordeln sich verheddern und der Ball in der Mitte hängenbleibt.
»Was mich interessiert«, sagt Scarmiglia und nimmt Bocca das Spielzeug aus der Hand, »ist die Stellung, wenn man ihn losschleudert.«
»Es sieht so aus, als würde man jemanden mit offenen Armen empfangen«, sagt Bocca.
»Für mich sieht es wie eine Kreuzigung aus«, sage ich.
»Weder das eine noch das andere«, sagt Scarmiglia. »Es ist ein Aufgeben. Es wird die Stellung für ›lassen, verlassen‹ sein«, und während er das sagt, tut er es buchstäblich, lässt den Zoomball erneut in den Sand fallen.
Wir legen eine Pause ein, gehen am Brunnen trinken, kehren zurück, setzen uns wieder in den Schatten und betrachten die Körper der Palermer. Die Ekelkörper. Einmal musste ich mich hier am Strand in einer anderen Kabine umziehen, weil der Schlüssel zu unserer abgebrochen war. Die Kabine wurde vor allem von einer Gruppe alter Leute benutzt. Drinnen roch es nach Mull, nach verfilzter, nasser Baumwolle, lauem Wasser, durchscheinender Haut. Die ganze Zeit, die ich brauchte, um mich aus- und die Badehose anzuziehen, habe ich die Luft angehalten. Die Ekelkörper der Palermer haben genau diesen Geruch. Es ist keine Frage der Sauberkeit. Es sind sie. Und ihr Leben. Es ist ein Geruch, der aus ihrer Art zu reden kommt. Die Wörter altern im Körper. Vermodern. Der Dialekt, der schon von Anfang an verkommen ist, fault noch weiter. Sie gehen bis zu den Knien ins Wasser, die Kinder auf dem Arm, zwischen den MS-Zigarettenstummeln und den dunklen Algen. Sie zeigen auf irgendwas, lachen. Sie sind stolz, und sie sind unwissend. Sie halten zusammen.
Für sein erstes Wort, »nehmen«, hat Scarmiglia an einen Film gedacht, den er mit seinen Brüdern im Kino gesehen hat. Er war für sein Alter nicht freigegeben, doch sie haben ihn trotzdem reingelassen. Er heißt Ultimo mondo cannibale . Man würde es nicht denken, doch es ist ein italienischer Film, die Geschichte eines Mannes, der von Kannibalen gefangen genommen wird. Irgendwann lockt der Mann die Menschenfresserkinder an sein Gefängnis, streckt die Hand nach dem Gesicht eines der Kinder aus und zieht sie mit der Daumenspitze zwischen Mittel- und Zeigefinger wieder zurück, als wollte er ihm die Nase stehlen.
Dieses Spielchen in einem Film zu finden, in dem es Enthauptungen und Häutungen von Tieren gibt, zwischen abgefressenen menschlichen Armen und Alligatoren, die durch die Vegetation streifen, hat mit dem zu tun, was Scarmiglia als »Italianisierung der Schöpfung« definiert, den nationalen Impuls, alles in vertraute Formen zu übertragen und damit alles zu zwingen, Provinz zu werden.
»Italien ist eine große Metabolie-Maschine«, sagt er, »in der Lage, alles plausibel zu machen. Es verwandelt den Amazonas-Urwald in eine heimische Wohnstube, ein Menschenfresserkind in eins, mit dem man im Park Späße macht. Würde mich nicht wundern, wenn in dem Film ein Päckchen MS im Magen des Alligators liegt und aus dem Lendenschurz eines Kannibalen ein Tippschein vom Fußballtoto herausschaut.«
Als wir uns daranmachen, über die Stellung für Scarmiglias zweites Wort, »das Gute«, nachzudenken, schlage ich vor, Conte Oliver zu wählen. Sie haben ihn nicht vor Augen, sie lesen Alan Ford nicht, also nehme ich eine gemessene, gefestigte Haltung ein, die Arme ein wenig vorgestreckt, die Hände sanft übereinander auf den Knauf eines unsichtbaren Gehstocks gelegt. Die
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