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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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ein Leidensweg. Doch im nächsten Film ist er dann wieder auferstanden, nicht klein zu kriegen, der Filmmärtyrer mit dem blonden Pagenkopf. Das ist sie«, sagt er aufgewühlt, »das ist unsere Vorstellung vom Tod.«
    »Und wir haben Giumbolo«, fügt er hinzu. »Wir haben Grisù. Wir haben Obabaluba. Zigo Zago. Den Zauberer. Den Hühnerknochen und das magische Gebräu.«
    »Das haben wir«, schließt er erregt. »Das sind wir.«

    Bocca und ich schauen uns an: Wir wissen, dass er theatralisch ist. Dass auch er manchmal dem Bedürfnis nachgibt, sich aufzublähen, sich deklamatorisch zu verbreiten, so viel wie möglich zu reden.
    »Die Stellung Fracchia«, sagt er, inzwischen auf dem Eisengerüst hängend, »soll ›Begreifen‹, ›die Dinge verstehen‹ bedeuten. Ich habe verstanden, wir haben verstanden. Etwas, das scheinbar mit Stabilität zu tun hat, aber in Wirklichkeit ein gefährliches Schwingen ins Leere ist.«
    Um acht trennen wir uns. Scarmiglia fährt mit dem Bus zurück nach Palermo, Bocca geht zu Fuß nach Hause. Wir verabreden uns für den nächsten Tag. Jeder soll dann drei Stellungen vorschlagen, womit wir, mit den neun von heute, auf achtzehn kommen. Die dann noch fehlen, um einundzwanzig zu erreichen, suchen wir gemeinsam aus.
    Wir haben beschlossen, dass wir umgekehrt vorgehen werden: Heute sind wir von der Form ausgegangen und haben eine Bedeutung mit ihr verbunden; morgen dagegen werden wir von dem ausgehen, was wir sagen wollen, und die passendsten Stellungen dafür suchen.
     
    Am Vormittag des 17. Juli schließe ich mich, bevor ich ans Meer gehe, ins Zimmer ein und trainiere. Trotz der Schwierigkeiten - die Rippe tut mir noch immer weh - habe ich das Bedürfnis, meinen Körper mehr zu spüren. Als ich aufhöre, habe ich Schweiß um die Augen herum und bin außer Atem. Ein Gefühl, als würden die Dinge verschwinden.
    Am Strand richten wir uns im Schatten zwischen der letzten Kabine und der Wasserlinie ein, der Sand ist feucht und pappig. Scarmiglia hat ein Hemd mit kurzen Ärmeln und über den Knien abgeschnittene Jeans an, Bocca und ich tragen Badehosen. Die Leute um uns herum sind erstaunt. An mich, an meinen Kopf, hatten sie sich gewöhnt, uns zu dritt zu sehen verwirrt sie. Aber uns ist das gleichgültig: Unser alter Körper war uns fremd, erst jetzt sind wir authentisch.

    Bocca sagt, dass ihm in der Nacht ein Name für unser Alphabet eingefallen sei. Er ist einfach, scheint ihm aber passend: Alphastumm . Weil es aus stillen Gesten besteht. Uns gefällt der Name, wir beschließen, ihn zu nehmen.
    Jeder hat Wörter mitgebracht, die seiner Ansicht nach im Alphastumm vorkommen sollen. Bocca fängt an.
    »›Aufhören‹. ›Sich verstecken‹. ›Lassen, verlassen‹.«
    Ich höre sie mir an und kombiniere sie untereinander: Das Versteck verlassen und aufhören; aufhören sich zu verlassen; aufhören sich zu verstecken.
    Scarmiglia hat seine Wörter auf ein kariertes Blatt Papier geschrieben. Mit Bleistift und in Druckbuchstaben, die er mehrmals nachgezogen hat, sodass sie sich durchs Papier gedrückt haben.
    »›Nehmen‹. ›Das Gute‹. ›Sterben‹.«
    Im Stillen kombiniere ich: Das Gute, das stirbt; gefangen genommen werden und sterben; das Gute sterben lassen, indem man es nimmt; das Gute nehmen und sterben.
    Ich bin an der Reihe. Auch ich habe die Wörter auf ein Blatt Papier geschrieben, in der Form eines gleichschenkligen Dreiecks.
    »›Weggehen‹. ›Suchen‹. ›Das Verlangen‹.«
    Das Verlangen ist an der Spitze des Dreiecks, Weggehen und Suchen bilden die beiden anderen Winkel. Das Verlangen ist also nach oben projiziert, es ist das, worauf die beiden anderen Seiten zustreben. Es steht auf dem Gipfel einer Propulsion. Ein Fluchtpunkt. Das Verlangen suchen. Vom Verlangen weggehen.
    Ich wollte auch »Angst« einfügen, war mir dessen aber nicht sicher.
    Wir beginnen zu diskutieren, sprechen über die Möglichkeiten und fangen an, die besten Stellungen auszuwählen.
    »Aufhören« - das in der Erweiterung auch »stillstehen«, »denken« heißen kann - wird dem Cover von Un cantastorie dei giorni nostri von Baglioni entsprechen, den Kopf an die rechte Hand gelehnt, linker Arm vor dem Körper: Das ist für alle schrecklich genug.

    Für »sich verstecken« fällt uns Portobello ein. Nicht so sehr die Sendung, sondern der Papagei, den sie zum Sprechen bringen wollen. Jede Woche versucht es jemand anders. Er stellt sich vor die Stange mit dem Papagei und fängt an Grimassen zu

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