Die Glasfresser
Sand aufwühlen und sich gegenseitig in den Kopf und in die Augen hacken. Einer von ihnen, der wütendsten, fehlt an einem Fuß die Kralle. Es ist jene Taube, die im April gegen die Hunde gekämpft
hat, die ich mit dem Kopf im Maul des amputierten Hundes gesehen habe. Sie hat überlebt und kämpft immer noch. Auch die Jungen, die hier in Fünfer- und Sechsergrüppchen herumziehen, kämpfen, rennen, bespritzen sich gegenseitig, rufen einander schreiend, auch sie wütend, mit Krusten aus Sand und Asche auf den Lippen, essen, was sie finden, haben vor nichts Angst.
Wohingegen die Schnur es im Laufe der Zeit geschafft hat, mir Angst vor allem einzuimpfen, mit ihrem Erziehungskonzept von Unbeweglichkeit und Verschwinden: mit dem Sand spielen, ohne den Sand zu bewegen; wenn du gegessen hast, frühestens vier Stunden später ins Wasser gehen; nicht stören, nicht atmen, aber untersteh dich zu sterben. Die Schande, am Leben zu sein. Sich darauf beschränken, sich das Spielen vorzustellen und das Schwimmen auszumalen. Mütter, die ihre Kinder zu Phobikern und Fantasten erziehen. Die Weitergabe von Ängsten über die mütterliche Linie.
»Wir müssen das Wort ›Angst‹ einfügen«, sage ich.
»Nein«, sagt Bocca, hält an und denkt darüber nach; er weiß, dass er etwas riskiert, doch er bleibt dabei.
»Nein«, sagt er noch einmal, leiser.
»Warum nicht?«, fragt Scarmiglia.
»Weil es Wörter gibt, die man besser nicht hat.«
»Aber ›Unvorhergesehenes‹ war für dich in Ordnung.«
»›Unvorhergesehenes‹ ist nicht ›Angst‹. ›Angst‹ ist etwas anderes.«
»Ich finde, wir können es nehmen«, sage ich.
»Schwebt dir auch eine Stellung vor?«, fragt Scarmiglia.
Ich bin still, schiebe mit der Fußspitze kleine Dünen zusammen und zerstöre sie wieder; inzwischen ist die wütende Taube näher gekommen, trippelt um uns herum und rammt ihren Kopf in den Sand.
»Ja, ich habe einen Vorschlag.«
»Wollt ihr wirklich, dass ›Angst‹ mit dabei ist?«, fragt Bocca.
Er ist nervös, flehend, er nimmt das, was geschieht, als eine Schwächung des Projekts wahr, die Verbindungsmembrane, die
zerreißt; und für ihn wäre ein eventuelles Reißen jetzt unerträglich.
»Warum willst du es nicht?«, fragt ihn Scarmiglia.
»Weil es schlecht für uns ist.«
»Das heißt?«
»Es ist die Sache, die Erfahrung, die alles vernichten kann.«
»Das heißt?«
»Es ist Selbstzerstörung.«
»Es ist doch nur ein Wort und nicht die Realität, oder?«, fragt Scarmiglia und fixiert ihn.
»Glaubst du das wirklich?«, fragt ihn Bocca.
»Sag du es mir.«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was es ist.«
»Und du?«, fragt Scarmiglia und wendet sich an mich.
Aus den Augenwinkeln nehme ich die Bewegung der Leute um uns herum wahr - Rücken, die sich beugen und wieder strecken, die Schulterblätter, die für einen Augenblick flattern, ein Kopf, der sich seitlich neigt, weiter entfernt das Mikado der verschlungenen Beine auf den Badetüchern.
»Ich denke, dass es die Realität ist«, sage ich.
»Natürlich ist es die Realität«, sagt Scarmiglia zu Bocca mit dem Ausdruck dessen, der klarmacht, dass die Diskussion beendet ist.
Dann, nach einer Pause, damit es sich setzen kann, fragt er mich, welche Stellung ich vorschlage.
Ich hebe die Hand - die Handfläche Bocca und Scarmiglia zugewandt, die Finger leicht gespreizt - und lasse sie über eine unsichtbare Wand gleiten; ich versuche, die Bewegung möglichst dramatisch zu machen.
»Das habe ich auch gesehen«, sagt Scarmiglia.
»Ich auch«, sagt Bocca, und es ist, als hätte er durch das Erkennen der Stellung den Weg gefunden, gleich wieder in die Gruppe aufgenommen zu werden.
»Die Szene, als die Baronessa di Carini stirbt«, fügt er hinzu und kann nur mit Mühe seine Begeisterung verbergen. »In dem Fernsehfilm.«
»Ich möchte die Stellung für ›Angst‹ Ågren nennen«, sage ich, »nach der Schauspielerin.«
Bevor sie mir antworten, nehme ich einen plötzlichen Geruch nach Maulbeeren wahr, und dann sehe ich sie: schwarz in einem kleinen Korb, aus dem die Zweige herausschauen. Eine Dialektfamilie - sie haben alle breite, dunkle Finger, die Nägel sind wie Platten - bietet sie den Jungen von der Villa Sperlinga an, die ihre Hände in den Korb stecken und sie voller Maulbeeren und mit Flecken bis zu den Handgelenken wieder herausziehen, sich bedanken und Scherze in Dialekt machen, die Mädchen ebenso wie die Jungen. Einer aus der Familie kommt zu uns und hält uns
Weitere Kostenlose Bücher