Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
Vom Netzwerk:
Position, die man einnimmt, wenn man heiter und gelassen zuhört, in das Gute vertieft. Das Gute hören. Wir wissen nicht, was es bedeutet, aber wir wollen, dass es da ist.

    Wir kommen zu »sterben«. Scarmiglia kauert sich in den Sand auf eine Seite, ein Arm ist angewinkelt, die Hand hängt herunter, auf der Hüfte, der Kopf ist leicht nach links geneigt: Aldo Moro, im metallischen Uterus des Renault 4 gestorben und geboren. In den vergangenen beiden Monaten haben wir dieses Foto so oft gesehen, dass es für uns das Foto aller Toten geworden ist. Sich so zusammenzukauern wird »sterben« bedeuten.
    Mein erstes Wort ist »Verlangen«. Es hat zwar Ähnlichkeit mit dem »Guten«, ist aber doch ein bisschen anders: Es ist das Streben nach dem Guten. Wir denken, um dieses Wort darzustellen, braucht man etwas Volles, eine runde Position.

    »Nein«, sagt Bocca und steht auf. »Das Verlangen ist nicht rund, es ist ganz und gar gebrochen. Schaut einmal her.«
    Er beugt sich vor und berührt abwechselnd zuerst das rechte Knie mit der linken Hand, dann das linke Knie mit der rechten Hand, kommt langsam wieder hoch, rhythmisch, berührt auf die gleiche Art die Hüften, die Schultern und die Stirn, reißt dann die Arme nach oben, um schließlich in die Ausgangsposition zurückzukehren.
    Am Strand bleiben die Leute stehen. Alle starren Bocca an, der die Carrà darstellt, wenn sie den Tuca Tuca tanzt. Damit wir es besser verstehen, wiederholt er die Sequenz und bewegt diesmal auch rhythmisch die Beine und das Becken.

    Die Leute um uns herum sind immer verwirrter, Scarmiglia bricht in Lachen aus.
    »Habt ihr gesehen?«, fragt er. »Sie verstehen nicht. Sie merken, dass es etwas Vertrautes ist, können es aber nicht einordnen.«
    »Und ist das nicht gut?«, fragt Bocca.
    »Natürlich ist es gut«, antwortet Scarmiglia. »Es ist genau das, was wir wollen.«
    Bei den anderen beiden Wörtern machen wir schnell. Auf dem Umschlag von Woobinda ist ein Känguru von der Seite zu sehen, die Vorderpfoten nach vorn gestreckt. Das ist eine einfache Stellung, für »gehen« ist sie perfekt.
    Nach Scarmiglias Ansicht ist das Cover von Nuntereggae più hervorragend für das Wort »suchen« geeignet. Wenn man die Haltung von Rino Gaetano vom Rest des Fotos trennt, ist es, als würde er mit einer Hand in einem Behälter wühlen. Er sucht. Wir beschließen, dass dies die Stellung Nunte ist.
    Es ist Mittagszeit. Wir gehen barfuß zu der kleinen Bar, die hinter dem Badestrand am Viale Regina Elena liegt. Wir setzen uns an ein Tischchen und essen Pizza. Wir sprechen nicht. Ab und zu nur nimmt einer von uns sein Heft und trägt etwas ein, eine Ergänzung oder Änderung, korrigiert eine Stellung oder erinnert sich an sie, indem er sie noch einmal zeichnet, klappt das Heft wieder zu, isst weiter, aber dann ist da doch noch eine Bewegung, die ihm entgangen ist - ein Stift, vertikal vors Gesicht gehalten und fallen gelassen, die Arme plötzlich ausgebreitet, eine zum Zeichen des Grußes mit gespreizten Fingern geöffnete Hand, etwas, das aus dem Leeren gegriffen, an sich gebracht, zurückgegeben, wieder gepackt wird.

    Und während wir kauen und die Formen und Verbindungen konsolidieren, kommt die erste Biene, dann eine zweite. Sie fliegen über das armselig gedeckte Tischchen, beginnen ihre Bahnen zu ziehen. Wir betrachten das Gelb, das in der Sonne leuchtet, hören das feine Summen. Bocca macht die Ölpapiertüte, die er schon zusammengelegt hatte, noch einmal auf, es liegen noch ein paar Pizzastücke darin. Die beiden Bienen gleiten hinunter, saugen die Süße aus dem Käse, aus dem Rot der Tomate, fliegen dann wieder auf und davon.
    Nach dem Essen beschließen wir, einen Spaziergang am Meer entlang zu machen, zwischen den Ekelkörpern. Es weht ein frischer und böiger Wind, der uns vorantreibt und aufrecht hält; ich presse die Fersen in den nassen Sand, wende mich nach jedem Schritt um und schaue zu, wie die Löcher sich mit Wasser füllen.
    Wir erreichen den freien Strand von Partanna, wo es keine Kabinen gibt. Dort gehen die Palermer aus der Altstadt und die Jungen von der Villa Sperlinga hin. Nachts machen sie hier Feuer und verbrennen Autoreifen, der Strand ist schmutzig, überall liegt altes Papier. Da sind bunte Espadrilles, kaputte Eimerchen, Badetücher voller Löcher, Kippen, die sich an der Wasserlinie angesammelt haben und mit ihr vor- und zurückgehen. Da sind auch Tauben, die tief fliegen und versuchen, die Abfälle zu fressen, die den

Weitere Kostenlose Bücher