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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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Schnäbel klein und krumm. Aus dem winzigen Krater eines Anus taucht eine schwarze Ameise auf. Bei Vögeln heißt der Anus Kloake, ihre Knochen sind hohl. Zwei oder drei Ameisen krabbeln über mein Handgelenk, ich blase sie weg. Ich lege das Nest auf den Boden, und sobald es die Erde berührt, breitet sich von der Unterseite her eine Lache von Insekten aus, die sich weiter ausdehnt, sich dann zerstreut, wieder zusammenfindet und erneut zusammenzieht. Die Insekten kommen zu den kleinen Vögeln zurück, dringen durch die Schnäbel ein, reißen Kubikmillimeter Eingeweide heraus, tragen sie davon.
    Ich höre ein Geräusch und drehe mich um. Die prähistorische Taube taucht unter dem Busch auf, macht drei Sprünge und bleibt wenige Zentimeter vor mir neben dem Nest stehen. Ihre Federn sind trocken und hart, wie Schuppen; das orangefarbene Auge wie immer wütend, der Fuß ohne Kralle scheuert über den Boden. Sie geht ins Nest zwischen den Flaum und die toten Kleinen, hebt den Kopf, um die Wirbel zu strecken.
    Sie schaut mich an. Ich schaue sie an.
    »Was hast du vorhin gesucht?«, fragt sie. Die Stimme klingt wie Nägel in einer Schachtel.
    Ich antworte nicht.
    Sie senkt den Kopf auf die Brust, holt Luft und wendet sich mir erneut zu.
    »Was hast du gesucht?«
    Ich denke nach. Ich denke, dass an diesem Punkt nichts mehr seltsam ist.

    »Heftchen«, sage ich.
    Sie sieht mich an, wartet.
    »Sex«, sage ich. »Ich habe nach Sex gesucht.«
    Sie nickt, wie jemand, der schon alles weiß und geduldig ist.
    »Und hast mich gefunden.«
    »Ja.«
    »Und du hast auch die Insekten gefunden. Die Würmer und die anderen fleischfressenden Parasiten.«
    Sie schweigt ein paar Sekunden lang, führt dann zu Ende, was sie sagen will.
    »Die Zersetzung«, sagt sie.
    Sie vollführt eine kleine Drehung nach rechts, sieht mich nicht mehr an und starrt vor sich hin.
    »Deine Imagination erzeugt Zersetzung«, fügt sie hinzu.
    »Das ist nicht wahr.«
    »Natürlich ist es wahr. Denn du bist wie ich: Du suchst den Kampf.«
    Wir hocken nebeneinander und sehen uns nicht an; sie im Nest, ich nahe am Busch.
    »Vernichtung wirkt anziehend auf dich«, fährt sie fort.
    »Das ist nicht wahr«, wiederhole ich.
    »Warum hast du dir dann nie vorgestellt, dass aus deinem Stacheldraht eine gute Infektion entstehen könnte?«
    »Eine Infektion kann nicht gut sein«, sage ich sofort.
    Während sie schweigt und die geschuppten Federn sich auf ihrer Brust heben und senken, weiß ich, dass ich nicht recht habe, doch ich muss Widerstand leisten, Zeit gewinnen.
    »Nimbus«, sagt sie - es ist das erste Mal, dass mich jemand so nennt - und wechselt in eine höhere Tonlage: »Du bist hierhergekommen, weil du Sex und Kampf suchst«, fährt sie fort. »Für dich sind Sex und Kampf die einzig mögliche Infektion, die einzige Richtung, in die man sich bewegen kann.«
    Während ich ihr zuhöre, betrachte ich das Innere der Schalen; es ist kalkig, riecht nach Fruchtwasser. Ich weiß nicht, wie Fruchtwasser riecht, aber ich weiß, dass dies der Geruch von
eingetrocknetem Fruchtwasser ist. Geruch nach Zellplasma und Agonie. Nach alten Sekreten. Nach Ammoniak.
    »Für dich«, sagt die prähistorische Taube noch, »hat nur die Erregung der Militanz Wert. Die schreckliche Infektion.«
    »Ich möchte einen Sohn«, unterbreche ich sie plötzlich, und ich spreche nicht mehr mit ihr.
    »Ich will einen Sohn.«
    »Du bist elf Jahre alt.«
    Ich höre ihr nicht zu. Ihr Einwand scheint logisch, doch er ist nicht logisch. Er ist nicht logisch.
    »Ich will einen Sohn«, sage ich noch einmal.
    »Nimbus, du kannst keine Kinder haben. Du wünschst es dir, doch du kannst keine haben.«
    »Warum nicht?«
    »Das habe ich dir schon gesagt: weil deine Imagination nur Kampf und Zersetzung erzeugt. Und weil ein Kind die Gefahr ist.«
    »Eine Gefahr?«
    »Die Gefahr, Nimbus. Die Infektion, die du nicht aushalten könntest.«
    Ich denke an meine Simulation von Krämpfen vor dem Einschlafen, meinen Wunsch, die Infektion zu verkörpern, an die Ähnlichkeit jener Krämpfe mit denen einer Mutter, wenn sie gebärt, mit denen eines Kindes, wenn es geboren wird. Nach dem Tod der Krüppelkatze hat die Simulation eine andere Form angenommen.
    Eine Bewegung neben mir rüttelt mich wach. Die prähistorische Taube starrt mich an. Sie hält ihre Wut immer noch zurück. Ich kann hören, wie es in ihr rumort.
    »Du kannst nicht erkennen, was fruchtbar ist«, sagt sie, »und dass das, was fruchtbar ist, Verantwortung

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