Die Glasfresser
Moses, Aaron soll mit seinem Stab auf den Staub der Erde schlagen, und der Staub der Erde verwandelt sich in einen Schwarm Stechmücken und in Zerstörung, denn der Schwarm bedeckt den Himmel und bricht über alles herein, fällt her über Mensch und Tier.
Reglos in dieser doppelten Abenddämmerung, den Bambusstab noch in der Hand, fühle ich mich wie ein kleiner Moses. Die Bienen sind die Plage, ich die Institution. Sie die Brigadisten, ich der Staat. Der belagert, zersetzt, provoziert und zuletzt, in die Schlupfwinkel eingedrungen, gegen das Zusammenrotten des Feindes vorgeht. Doch Belagern, Zersetzen, Provozieren sind auch die Methoden des Kampfes der Brigadisten.
Während über meinem Kopf ein schwarzes Magma lastet und die Bienenkönigin - die nomadische Geisel im Zentrum des Magmas - noch nicht entschieden hat, wo sie sich einnisten soll, stimmen Staat und Rote Brigaden überein. Ihre Logik stimmt überein. Ihre Sprache, wenn man sie genau untersucht, stimmt überein. Der Brigadistenstaat. Die Verstaatlichung der Roten Brigaden. Erzeugung und Zerstörung, Ordnung und Unordnung. Ins Gleichgewicht bringen, aus dem Gleichgewicht bringen, wieder ins Gleichgewicht bringen. Wie bei den Flugbahnen. Wie bei der Konstruktion eines Satzes. Dann plötzlich streckt sich das Magma in die Länge, wird durchlässig, befreit das dunkle Licht des Abends und konzentriert sich sintflutartig auf eine brennende Straßenlampe, verteilt sich der Länge nach auf dem Mast, den ganzen Mast entlang, nimmt nur das leuchtende Ende aus. Ich
betrachte den neuen, strahlenden Bienenstock und fühle mich befreit. Mit Dankbarkeit denke ich an die lichtempfindliche Königin, die, nachdem sie die Quelle wahrgenommen hatte, ohne es zu wissen, einen Zwilling von mir geschaffen hat, einen lebendigen Körper, überragt von einer Aureole: Die Ideologie erkennt das Auserwähltsein und umgibt es mit dem Schwarm, verherrlicht und feiert es. Also bücke ich mich, um meine Sachen aufzusammeln, will weggehen, doch in diesem Moment dehnt sich der Schwarm nach oben aus, und innerhalb weniger Sekunden ist die Spitze der Straßenlampe bedeckt.
Während über Addaura, über dem blauen Berg und jenseits davon, über ganz Palermo, der Himmel von Bienen erfüllt ist, die das Licht wegnehmen, mache ich mich auf den Nachhauseweg und frage mich, wie ich die Eklipse überleben soll.
Dialoge
September 1978
Es ist Nachmittag, die Luft ist klar. Wir haben Mondello verlassen und sind in die Stadt zurückgekehrt. Ich habe die Liste der neuen Schulbücher, das Geld. Ich gehe los, um sie zu kaufen. Auf dem Kopf habe ich drei Millimeter Haare, ich fahre ständig mit der Hand darüber; wenn ich draufdrücke, tut die Kopfhaut weh. Ich weiß, dass auch auf unseren Köpfen wieder dichtes Haar wachsen wird, und ob man nun einen Scheitel zieht oder es strategisch zerwühlt, so haben wir doch trotzdem Schädel, Knochenhöhlen, in denen das Böse lauert.
Ich komme an der Pornolichtung vorbei, gehe daran entlang und lasse sie hinter mir; die Buchhandlung ist ein Stück weiter, Luftlinie einhundert Meter. Ich betaste den Geldschein in meiner Hosentasche, drücke daran herum und zerknittere ihn. Ich betrachte die Dinge im abnehmenden Licht, befühle noch einmal das Geld in der Tasche; drehe mich um und gehe zurück, komme vor der Lichtung an, verlasse die Straße, zwänge meinen Körper durch das Dickicht, das leicht nachgibt, sich dann öffnet und mich einlässt. Einen Augenblick lang höre ich noch den Lärm der Autos, schließlich gibt es nur noch das, was ich vor mir habe.
Der Busch ist jetzt blau, gespickt mit gelben Reflexen. Ich beschaue ihn mir, sehe meine nackten Arme an, bücke mich, rieche das Pflanzenmark, den Saft der Pflanze, streife mit der Stirn über die Oberfläche der Blätter, knie mich hin und dringe mit dem Arm ein: Die Finger berühren dünne Stacheln, im Werden begriffene Zweige, die an der Spitze kleine saftige Knospen
tragen. Ich finde nichts, fahre mit dem Erkunden fort. Im unteren Teil spüre ich etwas Fasriges und Raues, etwas, das nicht zu dem Busch gehört, etwas, das Trockenes und Nasses zugleich enthält. Ich lasse die Finger darüber gleiten, ziehe es heraus und stehe wieder auf. Es ist ein Nest. Darin zerbrochene Schalen, die toten Kleinen in Federknäuel gebettet. Vier oder fünf, man kann es nicht genau sehen. Aufgebläht, die rosa und graue Haut abgeschürft. Ein paar Härchen stehen einen halben Zentimeter heraus, wie Ausrufezeichen; die
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