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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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bedeutet. Du verbringst deine Zeit damit, verdrehte Formen zu konstruieren, künstliche Alphabete, an Wörter zu denken.«
    Sie ist still. Wenn sie still ist, macht sie eine Bewegung mit dem Kopf, ein kurzes Schütteln, das die Gedanken begleitet, wie manche Großväter, manche Politiker es tun.

    »Du tust auch nichts anderes als ich«, sagt sie dann, »du verwandelst Schrecken in Existenz.«
    Sie gibt mir noch ein Zeichen mit dem Kopf, und mir scheint, dass sie einen Flügel ausbreitet. Dann trippelt sie durch den Staub bis zum Busch, macht einen Moment davor halt, sucht einen Durchschlupf und verschwindet.
    Jetzt weht die Luft sanft über die Lichtung, bringt leise Töne mit sich. Die elastische Vibration der Wäscheleinen vor den Balkonen. Das plötzliche Aufblitzen eines zum Trocknen aufgehängten Lakens.
    Am Abend, nach dem Essen, bin ich müde und lege mich in Kleidern aufs Bett, ohne die Schuhe auszuziehen. Die Deckenlampe brennt noch. Ich schlafe ein, während ich das Licht betrachte, die Augen feucht. Ich träume nicht.
     
    Am nächsten Tag sind noch Ferien. Ich gehe nach draußen, erreiche die Via Maqueda, tauche ein in die Via Vittorio Emanuele, komme auf der Piazza Marina heraus: das ausgerissene Gittertor der Villa Garibaldi, der aufgesprungene Gehweg und die großblättrigen Feigen. Einige ein wenig kleiner, doch immer noch majestätisch; und eine in einer Ecke des Parks: riesig.
    Dieses Monstrum aus Kletterwurzeln, diese Explosion von Schlingpflanzen, die sich verflechten, um einen Stamm zu bilden, der sich in die Höhe reckt - das ist Vatersein. Eine Masse lebenden Gewebes, die in Jahrhunderten die Form des Vaters erzeugt. Seine natürliche Verzweiflung. Die Verzweiflung des Steins, wenn er nach Hause kommt. Die Verzweiflung der täglichen Arbeit, um allem einen Sinn zu geben. Am Abend die Lektüre der Bibel, ohne dass einer glauben könnte. Das fleischige, eckige Gesicht, die massigen Hände. Die präzise am Rand der Fingerkuppen geschnittenen Nägel. Der Trauring am Ringfinger. Seine Finger. Die Uhr mit dem Armband, das Gehäuse aus Metall, ein grüner Fleck auf dem Glas.
    Ich zwänge mich zwischen die Klettertriebe, klammere mich an ihnen fest, dringe in die Zwischenräume ein, winde mich zwischen
den Ästen durch; ich schiebe die Hand auf den Rücken einer Wurzel, die sich zehn Meter vom Hauptstamm entfernt im Staub verliert. Dann strecke ich mich in der Gabel zweier Äste aus, die Blätter bilden einen Nimbus um meinen Kopf herum.
    Als ich am späten Vormittag nach Hause komme, sitzt Crematogastra in der Küche auf dem Schmutzbecken. Sie ist mit Putzen fertig und wartet, dass ihr Sohn kommt, um sie abzuholen. Ich rede nie mit ihr, weil sie nur Dialekt spricht. Also meide ich sie; ein Kopfnicken zur Begrüßung, mehr nicht.
    Ich mache den Kühlschrank auf, ich muss etwas essen. Crematogastra auf dem Schmutzbecken ist damit beschäftigt, ihren Atem zu organisieren. Sie ventiliert, hyperventiliert. Dann wird ihr Atem regelmäßiger. Ich nehme mir Käse, schneide ein kleines Stück ab und führe es zum Mund.
    »Nimbus«, höre ich hinter meinem Rücken.
    Ich drehe mich nicht um, behalte den Käse im Mund, mein Mund ist verformt.
    »Nimbus«, wiederholt Crematogastra ruhig, »was habt ihr vor?«
    Es ist ihre Stimme, die gleiche, die ich normalerweise höre, ohne ein Wort zu verstehen. Doch sie spricht italienisch. Rein, ohne Dialektfärbung.
    Ich schlucke, lege den Käse zurück auf das Gitter im Kühlschrank und wende mich um.
    »Wir machen weiter.«
    »Meint ihr, das ist eine logische Entscheidung?«
    »Es geht nicht um Logik«, sage ich, ziehe den Stuhl unterm Tisch hervor und setze mich. »Es geht um die Umstände. Um die Zeit.«
    Ich mache eine Pause.
    »Es gibt Umstände«, füge ich hinzu, »unter denen die Logik aufgehoben ist, keinen Wert hat: An ihrer Stelle existieren dann andere Regeln.«
    »Welche Regeln?«
    »Die des Kampfes.«

    »Und das macht euch stärker?«
    »Zum Teil. Aber wir sind nicht dumm, wir kennen unsere Grenzen.«
    »So, wie ihr euch ausdrückt, würde man das nicht denken.«
    »Wir müssen uns so ausdrücken. Das sind die Regeln der Emphase.«
    Crematogastra stützt sich mit den Armen auf: auf den Rand des Spülsteins an der einen Seite, auf den der Waschmaschine an der anderen. Sie richtet sich auf, verändert ihre Haltung. Spricht weiter.
    »Immer diese Regeln.«
    »Sie sind wichtig«, sage ich.
    »Gibt es auch eine Regel für die Zeit?«
    »Ja, wir haben beschlossen,

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