Die Glasglocke (German Edition)
legte er sich nie hin, um in der Sonne zu dösen, wie ich es tat. Er lief hin und her oder spielte Ball oder machte rasch ein paar Liegestütze, um die Zeit zu nutzen.
Mr. Willard und ich warteten im Empfangszimmer auf das Ende der Nachmittagsliegekur.
Die vorherrschende Farbe im ganzen Sanatorium war offenbar Leberbraun. Dunkel drohende Holzverschalungen, schwarzbraune Ledersessel, Wände, die vielleicht irgendwann einmal weiß gewesen, inzwischen aber von einer grassierenden Krankheit, von Schimmel oder Feuchtigkeit, befallen waren. Braun gesprenkeltes Linoleum versiegelte den Fußboden.
Auf einem niedrigen Couchtisch mit kreis-und halbkreisförmigen Flecken, die sich tief in das Furnier gefressen hatten, lagen ein paar zerfledderte Time- und Life- Nummern. Ich schlug das mir am nächsten liegende Heft in der Mitte auf. Das Gesicht Eisenhowers strahlte mir entgegen, kahl und glatt wie das Gesicht eines Fötus in einer Flasche.
Nach einiger Zeit fiel mir ein verstohlenes Plätschern auf. Einen Moment lang glaubte ich, die Wände hätten begonnen, die Feuchtigkeit, mit der sie sich vollgesogen haben mußten, auszuschwitzen, doch dann sah ich, daß das Geräusch von einem kleinen Brunnen in einer Ecke des Raumes kam.
Aus einem einfachen Rohr sprudelte die Fontäne ein paar Zentimeter in die Höhe, fiel wieder in sich zusammen und ertränkte ihr kümmerliches Getröpfel in einem mit gelblichem Wasser gefüllten Steinbecken, das mit weißen sechseckigen Kacheln ausgelegt war, wie man sie auch in öffentlichen Toiletten findet.
Ein Summer ertönte. Türen klappten in der Ferne. Dann kam Buddy herein.
»Hallo, Dad.«
Buddy umarmte seinen Vater, kam dann gleich mit schrecklich munterer Miene zu mir herüber und streckte mir die Hand entgegen. Ich schüttelte sie. Sie fühlte sich feucht und dick an.
Mr. Willard und ich setzten uns nebeneinander auf eine Ledercouch. Buddy hockte sich uns gegenüber auf die Kante eines abgewetzten Sessels. Er lächelte immer noch, als wären seine Mundwinkel mit unsichtbaren Drähten hochgebunden.
Daß Buddy dick geworden sein könnte, hatte ich am allerwenigsten erwartet. Immer wenn ich ihn mir in diesem Sanatorium vorstellte, sah ich dunkle Schatten unter vorstehenden Wangenknochen und brennende Augen in ausgezehrten Höhlen.
Aber alles Konkave an Buddy war plötzlich konvex geworden. Ein Spitzbauch wölbte sich unter dem engen Nylonhemd, und seine Wangen waren rund und rötlich wie Marzipanobst. Selbst sein Lachen klang dicklich.
Unsere Blicke trafen sich. »Es kommt vom Essen«, sagte er. »Die stopfen uns hier jeden Tag voll, und dann müssen wir liegen. Aber ich darf schon wieder stundenweise Spazierengehen, also, keine Sorge, in ein paar Wochen ist das Fett wieder herunter.« Er sprang auf und lächelte wie ein munterer Gastgeber. »Wollt ihr mein Zimmer sehen?«
Ich folgt Buddy, und Mr. Willard folgte mir, durch zwei Schwingtüren mit Milchglasscheiben, einen düsteren, leberbraunen Korridor entlang, in dem es nach Bohnerwachs und Lysol und noch nach etwas anderem roch, nach zerdrückten Gardenienblüten oder etwas ähnlichem. Buddy stieß eine braune Tür auf, und wir schoben uns in das enge Zimmer.
Ein klobiges Bett, darüber eine dünne weiße Tagesdecke mit schmalen blauen Streifen, nahm den meisten Raum ein. Neben dem Bett stand ein Nachttisch mit Krug und Wasserglas, und aus einem Glas mit einer blaßrosa Desinfektionslösung lugte der Silberzweig eines Thermometers. Ein zweiter Tisch war mit Büchern und Papieren bedeckt, und zwischen dem Fuß des Bettes und der Tür des Wandschranks eingezwängt standen allerlei Tontöpfe – gebrannt und bemalt, aber nicht glasiert.
»Na ja«, hauchte Mr. Willard, »sieht doch ganz komfortabel aus.«
Buddy lachte.
»Was ist denn das?« Ich griff nach einem Aschenbecher aus Ton in der Form eines Seerosenblattes, in dem auf trübgrünem Grund die Blattadern sorgfältig nachgezeichnet waren. Buddy rauchte nicht.
»Das ist ein Aschenbecher«, sagte Buddy. »Er ist für dich.«
Ich stellte den Aschenbecher zurück. »Ich rauche nicht.«
»Ich weiß«, sagte Buddy. »Aber ich dachte, er würde dir trotzdem gefallen.«
»Also«, Mr. Willard rieb eine papierene Lippe an der anderen, »ich glaube, ich sehe mal zu, daß ich wieder loskomme. Ich glaube, ich laß euch zwei junge Leute mal …«
»In Ordnung, Dad. Du fährst also wieder.«
Ich war überrascht. Ich hatte geglaubt, Mr. Willard würde über Nacht bleiben und mich am
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