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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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nächsten Tag zurückfahren.
    »Soll ich mitkommen?«
    »Nein, nein.« Mr. Willard zog ein paar Geldscheine aus seinem Portemonnaie und gab sie Buddy. »Sieh zu, daß Esther einen bequemen Platz im Zug bekommt. Sie wird vielleicht ein, zwei Tage bleiben.«
    Buddy brachte seinen Vater zur Tür.
    Ich fühlte mich von Mr. Willard im Stich gelassen. Ich dachte, er müsse es die ganze Zeit über geplant haben, aber Buddy meinte, nein, sein Vater könne den Anblick von Krankheit, vor allem bei seinem eigenen Sohn nicht ertragen, für ihn sei nämlich jede Krankheit eine Krankheit der Willenskraft. Mr. Willard war in seinem ganzen Leben nicht einen Tag krank gewesen.
    Ich setzte mich auf Buddys Bett. Man konnte sich sonst nirgendwo hinsetzen.
    Buddy kramte angelegentlich in seinen Papieren. Dann reichte er mir eine dünne, graue Zeitschrift. »Schlag mal Seite elf auf.«
    Die Zeitschrift war irgendwo in Maine gedruckt und enthielt lauter auf Matrizen geschriebene Gedichte und Schilderungen, die durch Sternchen voneinander getrennt waren. Auf Seite elf fand ich ein Gedicht mit dem Titel »Morgendämmerung in Florida«. Mein Blick wanderte von Metapher zu Metapher, von Wassermelonenlicht über schildkrötengrüne Palmen zu Muscheln, kanneliert wie alte griechische Architektur.
    »Nicht schlecht.« Ich fand es grauenhaft.
    »Und wer hat es geschrieben?« fragte Buddy mit einem seltsam verzagten Lächeln.
    Mein Blick glitt in die untere rechte Ecke der Seite. B. S. Willard.
    »Kenne ich nicht.« Dann sagte ich: »Ach, natürlich, Buddy. Du hast es geschrieben.«
    Buddy rückte näher.
    Ich rückte ab. Ich wußte wenig über Tb, aber in der Art, wie sich diese Krankheit unsichtbar ausbreitete, hielt ich sie für äußerst bedrohlich. Ich fand, Buddy sollte lieber allein in seiner kleinen, mörderischen Wolke von Tuberkelbazillen sitzen.
    »Keine Sorge«, lachte er. »Ich bin nicht positiv.«
    »Positiv?«
    »Du wirst dich nicht anstecken.«
    Buddy hielt inne und holte tief Luft, wie man es tut, wenn man einen sehr steilen Weg hochsteigt.
    »Ich möchte dich etwas fragen.« Er hatte neuerdings die beunruhigende Angewohnheit, seinen Blick in meine Augen zu bohren, als wolle er in meinen Kopf eindringen, um besser analysieren zu können, was dort vor sich ging.
    »Eigentlich wollte ich dir deswegen schreiben.«
    Einen flüchtigen Moment lang sah ich vor mir einen blaßblauen Umschlag mit dem Wappen von Yale auf der Verschlußklappe.
    »Aber dann dachte ich, ich warte lieber, bis du kommst und ich dich persönlich fragen kann.« Er machte eine Pause. »Willst du nicht wissen, was?«
    »Was?« fragte ich mit dünner, verheißungsloser Stimme.
    Buddy setzte sich neben mich. Er legte mir einen Arm um die Hüfte und strich das Haar über meinem Ohr zur Seite. Ich rührte mich nicht. Dann hörte ich ihn flüstern: »Wie fändest du es, Mrs. Buddy Willard zu werden?«
    Ein schrecklicher Drang zu lachen überkam mich.
    Ich dachte daran, wie mich diese Frage während der fünf odersechs Jahre, in denen ich Buddy aus der Ferne angehimmelt hatte, umgeworfen hätte.
    Buddy sah mein Zögern.
    »Ich weiß schon, jetzt bin ich nicht gerade in guter Verfassung«, sagte er rasch. »Ich bin noch in der Rekonvaleszenz und werde vielleicht noch ein bißchen ansetzen, aber nächsten Herbst bin ich wieder an der Uni. Spätestens im Frühling in einem Jahr …«
    »Ich muß dir etwas sagen, Buddy.«
    »Ich weiß schon«, sagte Buddy trocken. »Du hast jemanden kennengelernt.«
    »Nein, das ist es nicht.«
    »Was ist es dann?«
    »Ich werde niemals heiraten.«
    »Du spinnst.« Buddys Miene hellte sich auf. »Das wirst du dir noch überlegen.«
    »Nein. Ich habe es mir schon überlegt.«
    Aber Buddy machte weiter ein fröhliches Gesicht.
    »Weißt du noch«, sagte ich, »wie du einmal nach dem Theaterabend mit mir zum College zurückgetrampt bist?«
    »Ja.«
    »Weißt du noch, wie du mich damals gefragt hast, wo ich lieber leben würde, auf dem Land oder in der Stadt?«
    »Und du hast gesagt …«
    »Ich habe gesagt, ich wollte beides, auf dem Land und in der Stadt leben?«
    Buddy nickte.
    »Und du«, fuhr ich plötzlich sehr entschieden fort, »du hast gelacht und gesagt, ich hätte das Zeug zu einer Neurotikerin, und die Frage würde aus einem Fragebogen stammen, den ihr in der gleichen Woche in Psychologie durchgenommen hättet.«
    Buddys Lächeln verblaßte.
    »Ich will dir was sagen – du hattest recht. Ich bin neurotisch. Ichkönnte niemals entweder

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