Die Glasglocke (German Edition)
und sobald ich losließ, würde ich umgestoßen, Skier und Skistöcke würden mich durchbohren und aufspießen, und ich wollte doch niemandem im Wege sein, deshalb blieb ich ruhig hängen.
Oben jedoch kamen mir Bedenken.
Buddy entdeckte mich, in der roten Jacke, zögernd. Seine Arme pflügten durch die Luft wie eine khakibraune Windmühle. Dann sah ich, daß er mir durch Zeichen zu verstehen gab, ich sollte auf einer Bahn herunterkommen, die sich zwischen all den wedelnden Skifahrern geöffnet hatte. Aber als ich mich bereit stellte, mit einem unbehaglichen Gefühl und trockener Kehle, da verschwamm der glatte weiße Pfad, der von meinen Füßen zu seinen Füßen führte.
Ein Skifahrer kreuzte von links, ein anderer von rechts, und Buddys Arme winkten schwach wie Insektenfühler von der anderen Seite eines Feldes herüber, auf dem sich mikroskopisch kleine, bakterienartige Tiere tummelten, oder sie reckten sich hoch wie zwei helle Ausrufezeichen.
Ich ließ den Blick über das wimmelnde Halbrund in die Ferne gleiten.
Das große, graue Auge des Himmels erwiderte diesen Blick, die dunstverhangene Sonne bündelte die stillen, weißen Fernen, die Schneeberg für Schneeberg von überallher auf mich zuglitten und vor meinen Füßen zum Stillstand kamen.
Die innere Stimme, die nicht locker gelassen hatte, die mich gewarnt hatte – ich solle kein Dummkopf sein, solle meine Haut retten, die Skier abschnallen und im Schutz der Tannenbüsche neben dem Hang zu Fuß nach unten gehen –, flog unverrichteter Dinge wie eine enttäuschte Mücke davon. Leidenschaftslos, wie ein Baum wächst oder eine Blume, wuchs in mir der Gedanke, daß ich mich töten könnte.
Ich schätzte die Entfernung zu Buddy ab.
Seine Arme waren jetzt gefaltet, er schien eins geworden mit dem Lattenzaun hinter ihm – erstarrt, braun und belanglos.
Ich tastete mich an den Rand des Gipfelplateaus, tauchte die Spitzen meiner Stöcke in den Schnee und stieß mich ab zu einem Flug, den ich – das wußte ich – diesmal weder durch Geschicklichkeit noch durch ein verspätetes Aufbäumen meines Willens mehr aufhalten konnte.
Ich nahm den direkten Weg nach unten.
Ein kräftiger Wind, der sich bisher versteckt gehalten hatte, fuhr mir mit voller Kraft in den Mund und harkte mein Haar nach hinten. Ich fuhr talwärts, aber die weiße Sonne stieg nicht höher. Sie hing über dem Gewoge der Berge, ein fühlloser Dreh-und Angelpunkt, ohne den es die Welt nicht gäbe.
Ein kleiner Entsprechungspunkt in meinem Körper flog ihr entgegen. Ich fühlte, wie sich meine Lunge unter dem Ansturm derLandschaft blähte – Luft, Berge, Bäume, Menschen. Ich dachte: »So fühlt man sich, wenn man glücklich ist.«
Ich schoß abwärts, vorbei an den Wedlern, den Anfängern und den Könnern, schoß durch Jahre der Unentschiedenheit, des Lächelns, der Verbindlichkeit, in meine eigene Vergangenheit.
Auf beiden Seiten wichen die Menschen und die Bäume zurück wie dunkle Tunnelwände, während ich dahinflog, dem reglosen, hellen Punkt an seinem Ende entgegen, dem Kiesel am Grund des Brunnens, dem weißen, süßen Baby, das im Bauch seiner Mutter schlummert.
Etwas knirschte wie Kies zwischen meinen Zähnen. Eiswasser lief mir die Kehle hinab.
Buddys Gesicht hing über mir, nah und groß, wie ein verirrter Planet. Hinter ihm tauchten andere Gesichter auf, und noch weiter hinten wimmelten schwarze Flecken auf einer weißen Fläche. Stück für Stück, wie unter den Schlägen des Zauberstabs einer gleichgültigen Fee, kippte die alte Welt in ihre Lage zurück.
»Du hast es gut gemacht«, versicherte eine vertraute Stimme meinem Ohr, »bis der Mann dir in den Weg kam.«
Leute öffneten meine Bindungen und holten meine Skistöcke, wo sie, jeder in einer anderen Schneewehe, schief in den Himmel ragten. Der Zaun des Hotels schob sich mir in den Rücken.
Buddy ging in die Hocke, um mir die Stiefel und mehrere Paar weiße Wollsocken, die als Polsterung dienten, auszuziehen. Seine mollige Hand schloß sich um meinen linken Fuß, schob sich dann vorsichtig prüfend Zentimeter für Zentimeter an meinem Fußgelenk hoch, als tastete sie nach einer versteckten Waffe.
Eine teilnahmslose weiße Sonne schien aus der Höhe des Himmels. Ich wollte mich an ihr schleifen, bis ich heilig und schmal und wesentlich war wie eine Messerklinge. »Ich gehe wieder hoch«, sagte ich. »Ich versuche es noch einmal.«
»Das tust du nicht.«
Auf Buddys Gesicht erschien ein seltsam zufriedener
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