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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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auf dem Land oder in der Stadt leben.«
    »Du könntest dazwischen leben«, schlug Buddy vor. »Dann könntest du manchmal in die Stadt fahren und manchmal aufs Land.«
    »Und was ist daran so neurotisch?«
    Buddy antwortete nicht.
    »Nun sag schon!« fauchte ich und dachte: »Man darf diese Kranken nicht verhätscheln, das schadet ihnen nur, das verdirbt sie völlig.«
    »Nichts«, sagte Buddy mit tonloser Stimme.
    »Neurotisch, ha!« Ich lachte spöttisch. »Wenn es neurotisch ist, daß man zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschließen, gleichzeitig will, dann bin ich allerdings verdammt neurotisch. Für den Rest meiner Tage werde ich zwischen Dingen, die sich gegenseitig ausschließen, hin-und herfliegen.«
    Buddy legte seine Hand auf meine.
    »Laß mich mitfliegen.«
    Ich stand am oberen Ende der Skipiste auf dem Mount Pisgah und sah nach unten. Ich hatte dort oben nichts zu suchen. Ich war noch nie im Leben Ski gefahren. Ich dachte, ich könnte immerhin die Aussicht genießen, wenn ich schon einmal da war.
    Links neben mir brachte der Lift einen Skifahrer nach dem anderen auf den schneebedeckten Gipfel, der von dem vielen Hin und Her festgestampft, dann von der Mittagssonne angetaut und nun wieder hart und glatt wie Glas war. Die kalte Luft peinigte meine Lungen und meine Stirnhöhlen mit visionärer Klarheit.
    Auf beiden Seiten neben mir stürzten sich Skifahrer in roten, blauen und weißen Jacken den mich blendenden Hang hinab, wie flüchtige Fetzen einer amerikanischen Fahne. Das Hotel im Blockhausstil am Fuß der Piste blies Schlager in die oberhalb hängende Stille.
    Ein Blick auf die Jungfrau
    aus unserem Chalet für zwei …
    Die Klänge und das Pochen des Rhythmus trieben an mir vorbei wie ein unsichtbares Flüßchen in einer Schneewüste. Eine einzige unbekümmerte, großartige Geste, und es würde mich den Hang hinunterreißen, dem winzigen khakibraunen Fleck an der Seite zwischen den Zuschauern entgegen, der Buddy Willard war.
    Den ganzen Morgen hatte mir Buddy Skifahren beigebracht.
    Zuerst hatte er Skier und Skistöcke von einem Freund im Dorf geliehen, und Skistiefel von der Frau eines Arztes, deren Füße nur eine Nummer größer waren als meine, und eine rote Skijacke von einer Lernschwester. Seine Hartnäckigkeit angesichts meiner Sturheit war erstaunlich.
    Dann fiel mir ein, daß Buddy an der medizinischen Fakultät einen Preis bekommen hatte, weil er am meisten Einwilligungen von Angehörigen zum Sezieren verstorbener Patienten erlangt hatte – ob es nötig war oder nicht, im Interesse der Wissenschaft. Ich wußte nicht mehr, worin der Preis bestand, aber ich sah Buddy vor mir, wie er in einem weißen Kittel, aus dessen Seitentasche das Stethoskop hing, als wäre es ein Teil seiner Anatomie, lächelnd und verbindlich die verstörten, schweigsamen Angehörigen überredete, die Genehmigung zu unterschreiben.
    Dann lieh sich Buddy den Wagen seines Arztes, der selbst Tb gehabt hatte und sehr verständnisvoll war, und wir fuhren los, sobald der Summer in den sonnenlosen Korridoren des Sanatoriums zur Ausgehstunde geschnarrt hatte.
    Auch Buddy war noch nie Ski gefahren, meinte aber, die Grundlagen seien ganz einfach, und da er den Skilehrern und ihren Schülern oft zugesehen habe, könne er mir alles beibringen, was ich wissen müsse.
    Während der ersten halben Stunde marschierte ich gehorsamim Grätenschritt einen kleinen Hügel hinauf, stieß mich mit den Stöcken ab und glitt auf geradem Weg nach unten. Buddy schien über meine Fortschritte erfreut.
    »Gut so, Esther«, erklärte er, als ich meinen Hang zum zwanzigsten Mal bewältigt hatte. »Jetzt versuchen wir es mit dem Schlepplift.«
    Ich stoppte in meiner Spur, rot im Gesicht und keuchend.
    »Aber Buddy, ich weiß doch gar nicht, wie man wedelt. Alle, die von da oben herunterkommen, können wedeln.«
    »Du brauchst ja nur bis zur halben Höhe mitzufahren. Dann bekommst du nicht soviel Schwung.«
    Und Buddy begleitete mich zu dem Schlepplift, zeigte mir, wie man das Seil zuerst durch die Hände laufen läßt, dann die Finger schließt und hochfährt.
    Ich kam gar nicht auf den Gedanken, nein zu sagen.
    Ich packte die grobe Seilschlange, die mir wehtat, solange sie zwischen meinen Fingern hindurchglitt, und schon ging es nach oben.
    Das Seil zog mich auf wackligen, schwankenden Beinen so schnell, daß ich die Hoffnung, ich könnte mich auf halber Höhe lösen, gleich wieder aufgab. Vor mir war ein Skifahrer, hinter mir war ein Skifahrer,

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