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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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Ausdruck.
    »Nein, das tust du nicht«, wiederholte er mit einem endgültigen Lächeln. »Dein Bein ist an zwei Stellen gebrochen. Du wirst die nächsten Monate in einem Gips zubringen.«

Neun
    »Ich bin so froh, daß sie nun bald sterben.«
    Gähnend krümmte Hilda die Katzenglieder, vergrub ihren Kopf in den Armen auf dem Konferenztisch und schlief weiter. Ein gallegrüner Strohhut saß ihr über der Stirn wie ein tropischer Vogel.
    Gallegrün. Sie propagierten es für den Herbst, nur Hilda war, wie üblich, ihrer Zeit um ein halbes Jahr voraus. Gallegrün mit Schwarz, Gallegrün mit Weiß, Gallegrün mit Nilgrün, seinem liebsten Freund.
    Die Modereklame trieb mir ihre fauligen Blasen durchs Hirn, silbrig und voller nichts. Mit einem hohlen Plopp kamen sie an die Oberfläche.
    Ich bin so froh, daß sie nun bald sterben.
    Ich verwünschte den Zufall, der meine Ankunft in der Cafeteria des Hotels mit der von Hilda hatte zusammenfallen lassen. Nach einer langen Nacht war ich zu träge gewesen, eine Ausrede zu erfinden, die mich noch einmal auf mein Zimmer zu meinem vergessenen Handschuh, Taschentuch, Regenschirm, Notizbuch gebracht hätte. Zur Strafe mußte ich den langen, trostlosen Spaziergang von den Milchglastüren des Amazon zu unserem erdbeerfarbenen Marmoreingang an der Madison Avenue über mich ergehen lassen.
    Hilda bewegte sich die ganze Zeit über wie ein Mannequin.
    »Ein hübscher Hut, hast du ihn selbst gemacht?«
    Ich erwartete schon, Hilda würde mich ansehen und sagen: »Du klingst, als wärst du krank«, aber sie reckte nur den Schwanenhals und zog ihn wieder ein.
    »Ja.«
    Am Abend vorher hatte ich ein Stück gesehen, in dem die Heldin von einem Dibbuk besessen war, und wenn der Dibbuk aus ihrem Mund sprach, klang ihre Stimme so hohl und tief, daß man nicht mehr erkennen konnte, ob da ein Mann oder eine Frau sprach. Und nun klang Hildas Stimme wie die Stimme dieses Dibbuk.
    Immer wieder sah sie nach ihrem Spiegelbild in den glänzenden Schaufensterscheiben, als müßte sie sich ständig vergewissern, daß sie noch vorhanden war. Das Schweigen zwischen uns war so tief, daß ich auch mir einen Teil der Schuld daran gab.
    Deshalb sagte ich: »Ist das nicht furchtbar mit den Rosenbergs?«
    Die Rosenbergs sollten an diesem Abend auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet werden.
    »Ja!« sagte Hilda, und ich hatte das Gefühl, ich hätte in dem Abnehmspiel ihres Herzens endlich doch einen menschlichen Faden zu fassen bekommen. Erst als wir zu zweit in dem gruftartigen Morgendämmer des Konferenzraums auf die anderen warteten, erläuterte Hilda ihr Ja.
    »Es ist furchtbar, daß solche Leute überhaupt leben.«
    Dann gähnte sie, und in ihrem blaßorangefarbenen Mund öffnete sich ein weites Dunkel. Fasziniert starrte ich in die blinde Höhle hinter ihrem Gesicht, bis sich die beiden Lippen berührten und bewegten und der Dibbuk aus seinem Versteck sprach: »Ich bin so froh, daß sie nun bald sterben.«
    »Na los, nun lächeln Sie mal.«
    Ich saß mit einer Papierrose in der Hand auf dem kleinen rosa Samtsofa in Jay Cees Büro vor dem Fotografen der Zeitschrift. Ich war die letzte von uns zwölf, die fotografiert werden sollte.Ich hatte versucht, mich in der Damentoilette zu verstecken, aber es hatte nicht geklappt. Betsy hatte meine Füße unter der Tür entdeckt.
    Ich wollte nicht fotografiert werden, weil ich dann anfangen würde zu weinen. Ich wußte nicht, warum ich zu weinen anfangen würde, aber ich wußte, wenn mich jemand anspräche oder zu genau ansähe, würden mir die Tränen aus den Augen und die Schluchzer aus der Kehle laufen, und ich würde eine Woche lang weinen. Ich spürte, daß die Tränen in mir schwappten und fast überliefen – wie Wasser in einem wacklig stehenden Glas, das zu voll ist.
    Es war der letzte Fototermin, ehe die Zeitschrift in Druck ging und wir nach Tulsa oder Biloxi oder Teaneck oder Coos Bay oder woher wir sonst kamen, zurückkehrten, und diesmal sollten wir mit Requisiten fotografiert werden, die zeigten, was wir werden wollten.
    Betsy hielt eine Getreideähre zum Zeichen dafür, daß sie Farmersfrau werden wollte, und Hilda hielt den gesichtslosen Kahlkopf einer Hutmacherpuppe zum Zeichen dafür, daß sie Hüte entwerfen wollte, und Doreen hielt einen goldbestickten Sari zum Zeichen dafür, daß sie Sozialarbeiterin in Indien werden wollte (in Wirklichkeit, so erzählte sie mir, wollte sie das gar nicht werden, sie wollte nur mal einen Sari in die Hand

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