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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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Schildchen auf die Kleider zu kleben.
    Ich ging zurück in den Aufenthaltsraum. Ich verstand nicht, was diese Leute hier wollten, wenn sie Federball und Golf spielten. Sie konnten nicht wirklich krank sein.
    Ich setzte mich neben Valerie und beobachtete sie genau. Ja,dachte ich, sie würde in ein Pfadfinderlager passen. Sie las in ihrem zerfledderten Vogue -Heft mit gespanntem Interesse.
    »Was zum Teufel tut sie hier?« fragte ich mich. »Sie hat doch gar nichts.«
    »Stört es Sie, wenn ich rauche?« Mrs. Nolan lehnte sich in dem Sessel neben meinem Bett zurück.
    Ich sagte, nein, ich hätte den Geruch von Zigaretten gern. Ich dachte, wenn Mrs. Nolan rauchen kann, wird sie vielleicht länger bleiben. Sie war zum erstenmal gekommen, um mit mir zu sprechen. Wenn sie fortging, würde ich in die alte Leere zurückfallen.
    »Erzählen Sie mir von Doktor Gordon«, sagte Mrs. Nolan plötzlich. »Mochten Sie ihn?«
    Ich sah Mrs. Nolan mißtrauisch an. Ich dachte, alle Ärzte müßten unter einer Decke stecken, und irgendwo in diesem Krankenhaus, in einem verborgenen Winkel, stehe genauso ein Apparat wie der von Doktor Gordon, jederzeit bereit, mich halbtot zu rütteln.
    »Nein«, sagte ich, »ich mochte ihn überhaupt nicht.«
    »Interessant. Warum nicht?«
    »Es hat mir nicht gefallen, was er mit mir getan hat.«
    »Getan?«
    Ich erzählte Mrs. Nolan von dem Apparat und den blauen Blitzen, dem Rütteln und dem Lärm. Während ich sprach, wurde sie sehr still.
    »Das war ein Fehler«, sagte sie dann. »So soll es nicht sein.«
    Ich starrte sie an.
    »Wenn man es richtig macht«, sagte Mrs. Nolan, »ist es, als würde man einschlafen.«
    »Wenn mir das noch einmal jemand antut, bringe ich mich um.«
    Mrs. Nolan sagte mit fester Stimme: »Sie werden hier keine Schockbehandlung bekommen. Und wenn doch«, setzte sie hinzu, »dann werde ich es Ihnen vorher sagen, und ich verspreche Ihnen, es wird ganz anders sein als das, was sie da erlebt haben. Also, manchen Leuten«, sagte sie schließlich, » gefällt es sogar.«
    Als Mrs. Nolan gegangen war, fand ich eine Schachtel Streichhölzer auf der Fensterbank. Es war keine Schachtel von gewöhnlicher Größe, sondern eine sehr kleine. Ich öffnete sie und förderte eine Reihe kleiner weißer Stäbchen mit rosa Spitzen zutage. Ich versuchte, eines von ihnen anzuzünden, aber es zerknickte mir in der Hand.
    Es war mir schleierhaft, warum Mrs. Nolan so etwas Albernes bei mir zurückgelassen hatte. Vielleicht wollte sie sehen, ob ich es ihr zurückgeben würde. Sorgfältig verstaute ich die Spielzeugstreichhölzer im Saum meines neuen Wollbademantels. Falls mich Mrs. Nolan nach den Streichhölzern fragte, wollte ich sagen, ich hätte gedacht, sie seien aus Zucker, und hätte sie gegessen.
    Im Zimmer nebenan war eine neue Frau eingezogen.
    Ich dachte, sie müßte die einzige im ganzen Haus sein, die noch neuer war als ich, und wüßte deshalb, anders als die anderen, auch nicht, wie schlimm es um mich stand. Ich dachte, ich könnte zu ihr gehen und mich mit ihr anfreunden.
    Die Frau lag auf ihrem Bett in einem dunkelroten Kleid, das am Hals mit einer Kameenbrosche geschlossen war und ihr bis zu den Waden reichte. Ihr rotbraunes Haar hatte sie zu einem gouvernantenhaften Knoten gebunden, und die schmale Silberrandbrille war mit einem schwarzen Gummiband an ihrer Brusttasche befestigt.
    »Hallo«, sagte ich im Plauderton und setzte mich auf die Bettkante. »Ich heiße Esther, und wie heißen Sie?«
    Die Frau rührte sich nicht, sie starrte bloß an die Decke. Ich war gekränkt. Ich dachte, daß ihr Valerie oder sonst jemand bei der Ankunft vielleicht schon erzählt hätte, wie dumm ich sei.
    Eine Schwester steckte den Kopf zur Tür herein.
    »Ach, da sind Sie«, sagte sie zu mir. »Zu Besuch bei Miss Norris. Wie nett!« Und verschwand wieder.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß, die Frau in Dunkelrot betrachtete und mich fragte, ob sich ihre zusammengepreßten, roten Lippen öffnen würden, und falls sie sich öffneten, was sie dann sagen würden.
    Wortlos und ohne mich anzusehen, schwang Miss Norris schließlich ihre in hohen schwarzen Knöpfstiefeln steckenden Füße über die andere Bettkante und verließ das Zimmer. Ich dachte, sie versuche vielleicht, mich auf subtile Weise loszuwerden. Geräuschlos folgte ich ihr in geringer Entfernung den Flur entlang.
    Miss Norris erreichte die Tür des Eßzimmers und hielt inne. Bis zum Eßzimmer war sie sehr präzise gegangen, hatte die

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