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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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Gesicht des Negers, ein melassefarbener Mond, in dem vergitterten Fenster aufging, aber ich tat, als würde ich nichts bemerken.
    Ich öffnete die Faust einen Spaltweit, wie ein Kind mit einem Geheimnis, und lächelte über den silbernen Globus in meiner hohlen Hand. Wenn ich ihn fallen ließe, würde er in Millionen winzige Nachbildungen seiner selbst zerspringen, und wenn ich die wieder zusammenschob, würden sie fugenlos verschmelzen und von neuem ein Ganzes bilden.
    Ich lächelte und lächelte über den kleinen Silberball.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie mit Mrs. Mole gemacht hatten.

Fünfzehn
    Feierlich glitt der schwarze Cadillac von Philomena Guinea durch den dichten Fünf-Uhr-Verkehr. Bald würde er eine der kurzen Brücken über den Charles erreichen, und ich würde, ohne lang nachzudenken, die Tür aufreißen und durch den Strom der Fahrzeuge zum Brückengeländer stürmen. Ein Sprung, und das Wasser würde über meinem Kopf zusammenschlagen.
    Müßig drehte ich ein Papiertaschentuch zu kleinen pillenförmigen Kugeln und wartete auf meine Chance. Ich saß auf dem Rücksitz des Cadillacs in der Mitte, neben mir auf der einen Seite meine Mutter, auf der anderen mein Bruder, beide leicht vorgebeugt, wie diagonale Gitterstäbe, vor jeder Wagentür einer.
    Vor mir sah ich den Hals des Chauffeurs, bleich wie gekochter Schinken, ein Sandwichbelag zwischen blauer Mütze und blauen Jackenschultern, und neben ihm, gleich einem zarten exotischen Vogel, das Silberhaar und den mit smaragdgrünen Federn geschmückten Hut von Philomena Guinea, der berühmten Romanschriftstellerin.
    Ich wußte nicht recht, warum Mrs. Guinea aufgetaucht war. Ichwußte nur, daß sie sich meines Falles angenommen hatte und daß sie auf dem Gipfel ihrer Karriere selbst einmal in einer Anstalt gewesen war.
    Meine Mutter erzählte, Mrs. Guinea habe ihr von den Bahamas, wo sie in einer Bostoner Zeitung etwas über mich gelesen hatte, ein Telegramm geschickt. »Ist ein Junge mit im Spiel?« hatte Mrs. Guinea telegraphiert.
    Wenn ein Junge mit im Spiel gewesen wäre, hätte sich Mrs. Guinea selbstverständlich nicht um den Fall kümmern können.
    Aber meine Mutter hatte zurücktelegraphiert: »Nein, es geht um Esthers Schriftstellerei. Sie glaubt, sie werde nie mehr etwas schreiben.«
    Daraufhin war Mrs. Guinea nach Boston zurückgekehrt, hatte mich aus der überfüllten Station des städtischen Krankenhauses geholt und brachte mich nun in eine Privatklinik, die wie ein Country Club über Sportanlagen, Golfplatz und Park verfügte und die sie, als handelte es sich um das Stipendium, für mich bezahlen würde, bis mich die Ärzte, mit denen sie dort bekannt war, wieder geheilt hätten.
    Meine Mutter sagte, ich solle dankbar sein. Sie selbst habe fast all ihr Geld für mich ausgegeben, und ohne Mrs. Guinea wüßte sie nicht, wo ich geblieben wäre. Aber ich wußte es. Ich wäre in der großen staatlichen Anstalt auf dem Land geblieben, die gleich neben der Privatklinik lag.
    Ich wußte, daß ich Mrs. Guinea dankbar sein mußte, und trotzdem empfand ich nichts. Hätte sie mir eine Fahrkarte nach Europa oder eine Kreuzfahrt rund um die Welt geschenkt, so hätte sich für mich nicht das geringste verändert, denn egal, wo ich saß – ob auf dem Deck eines Schiffes oder in einem Straßencafé in Paris oder Bangkok –, immer saß ich unter der gleichen Glasglocke in meinem eigenen sauren Dunst.
    Der blaue Himmel öffnete seine Kuppel über dem Fluß, und der Fluß war mit Segeln gesprenkelt. Ich machte mich bereit, aber im gleichen Augenblick legten meine Mutter und mein Bruderjeder eine Hand auf einen Türgriff. Die Reifen summten kurz auf dem Brückenrost. Wasser, Segel, blauer Himmel und schwebende Möwen flogen vorüber, wie eine unwahrscheinliche Postkarte, und schon waren wir auf der anderen Seite.
    Ich sank zurück in den grauen Polstersitz und schloß die Augen. Wie Watte schob sich der Dunst in der Glasglocke um mich, ich konnte mich nicht rühren.
    Ich hatte wieder ein eigenes Zimmer.
    Es erinnerte mich an das Zimmer in der Klinik von Doktor Gordon – ein Bett, eine Kommode, ein Wandschrank, Tisch und Stuhl. Ein Fenster mit Fliegengitter, aber ohne Gitterstäbe. Mein Zimmer lag im Erdgeschoß, und von dem Fenster dicht über dem mit Kiefernnadeln bedeckten Erdboden konnte ich auf einen mit Büschen und Bäumen bepflanzten, von einer roten Ziegelmauer umgebenen Hof sehen. Wenn ich gesprungen wäre, hätte ich mir nicht einmal die

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