Die Glasglocke (German Edition)
Knie aufgeschrammt. Die Innenfläche der hohen Mauer schien glatt wie Glas zu sein.
Die Fahrt über die Brücke hatte mich entnervt.
Ich hatte eine großartige Chance verpaßt. Das Flußwasser war an mir vorübergegangen wie ein Getränk, das ich nicht angerührt hatte. Ich hatte den Verdacht, daß ich, auch wenn meine Mutter und mein Bruder nicht dagewesen wären, keinen Versuch gemacht hätte, zu springen.
Als ich mich im Hauptgebäude der Klinik anmeldete, war eine schlanke junge Frau aufgetaucht und hatte sich vorgestellt. »Ich bin Doktor Nolan. Ich werde Esthers Ärztin sein.«
Es überraschte mich, daß ich eine Frau bekam. Ich hatte nicht gewußt, daß es hier auch Psychiaterinnen gab. Diese Frau war eine Mischung aus Myrna Loy und meiner Mutter. Sie trug eine weiße Bluse und einen langen Rock, der von einem breiten Ledergürtel gehalten wurde, und eine modische Brille mit halbmondförmigen Gläsern.
Aber nachdem mich eine Krankenschwester über den Rasen zu dem düsteren Ziegelbau namens Caplan gebracht hatte, wo ich wohnen sollte, hatte mich nicht etwa Mrs. Nolan besucht, es waren lauter sonderbare Männer zu mir gekommen.
Ich lag auf meinem Bett, unter einer dicken weißen Decke, und sie kamen einer nach dem anderen herein und stellten sich vor. Ich begriff nicht, warum es so viele waren und warum sie sich vorstellten, und dann fiel mir ein, daß sie mich vielleicht prüfen und herausfinden wollten, ob ich bemerken würde, daß sie zu viele waren, deshalb wurde ich argwöhnisch.
Zuletzt kam ein gutaussehender, weißhaariger Arzt herein und sagte, er sei der Leiter der Klinik. Er fing an, über die Pilgerväter und die Indianer zu reden und über diejenigen, die das Land nach ihnen besessen hatten, und darüber, welche Flüsse in der Nähe vorbeiflossen und wer die erste Klinik gebaut hatte und wie sie abgebrannt war und wer die nächste Klinik gebaut hatte, bis es mir vorkam, als wollte er herausfinden, wann ich ihn unterbrechen und ihm sagen würde, ich wüßte längst, daß alles das über die Flüsse und die Pilgerväter bloß Unsinn sei.
Aber dann dachte ich, manches könnte doch wahr sein, und versuchte, das, was vermutlich stimmte, von dem, was nicht stimmte, zu trennen, aber ehe ich so weit war, hatte er sich verabschiedet.
Ich wartete, bis die Stimmen aller Ärzte verhallt waren. Dann schlug ich die weiße Decke zurück, zog meine Schuhe an und trat auf den Flur. Niemand hielt mich auf, also bog ich um die nächste Ecke in einen anderen, längeren Flur und kam an einem offenen Eßzimmer vorbei.
Ein Mädchen in einem grünen Kittel deckte die Tische zum Abendessen. Es gab weiße Leinentischdecken, Gläser und Papierservietten. Die Tatsache, daß es richtige Gläser gab, verstaute ich in einem Winkel meines Kopfes, wie ein Eichhörnchen eine Nuß verstaut. In dem städtischen Krankenhaus hatten wir aus Pappbechern getrunken, und für das Fleisch hatten wir keine Messer gehabt. Es war immer so verkocht gewesen, daß wir es mit der Gabel zerteilen konnten.
Schließlich kam ich zu einem großen Aufenthaltsraum mit schäbigen Möbeln und einem abgewetzten Teppich. Ein Mädchen mit rundem, teigigem Gesicht und kurzem schwarzem Haar saß in einem Sessel und las eine Illustrierte. Sie erinnerte mich an eine Führerin bei den Pfadfindern, die ich einmal gehabt hatte. Ich warf einen Blick auf ihre Füße, und siehe da, sie trug diese flachen braunen Lederschuhe mit den gefransten, nach vorn überhängenden Laschen, die angeblich so schick sind, und die Enden der Schnürsenkel waren mit künstlichen Eicheln verziert.
Das Mädchen blickte auf und lächelte. »Ich heiße Valerie. Wer bist du?«
Ich tat, als hätte ich nichts gehört, verließ den Aufenthaltsraum und wanderte bis zum Ende des nächsten Flügels. Auf meinem Weg kam ich an einer hüfthohen Tür vorbei, hinter der ich einige Schwestern sah.
»Wo sind denn die anderen?«
»Draußen.« Eine der Schwestern schrieb immer wieder irgend etwas auf kleine Stücke Klebeband. Ich beugte mich zu ihr hinein und versuchte zu erkennen, was sie da schrieb, und es war E. Greenwood, E. Greenwood, E. Greenwood, E. Greenwood.
»Wo draußen?«
»Na ja, Beschäftigungstherapie, Golfplatz, Federball.«
Auf einem Stuhl neben der Schwester bemerkte ich einen Stapel Kleider. Es waren dieselben Kleider, die die Schwester im ersten Krankenhaus in den Lacklederkoffer gepackt hatte, als ich den Spiegel zerbrochen hatte. Die Schwester machte sich daran, die
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