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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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abgenommen …
    Dann schickte mich meine Ärztin zu einem Psychiater in diesem großen Krankenhaus. Ich hatte einen Termin für zwölf Uhr, und ich war in einem furchtbaren Zustand. Zuletzt, so gegen halb eins, kam die Vorzimmerdame heraus und sagte, der Doktor sei jetzt zum Mittagessen gegangen, ob ich warten wolle, und ich sagte ja.«
    »Kam er zurück?« Die Geschichte klang zu verwickelt, als daß Joan sie einfach erfunden haben konnte, jedenfalls bestärkteich sie, weiterzuerzählen, weil ich wissen wollte, was noch alles kommen würde.
    »Oh, ja. Ich war drauf und dran, mich umzubringen, das kannst du mir glauben. Ich sagte mir: Wenn der Doktor das nicht hinbekommt, ist Schluß. Na ja, die Vorzimmerdame führte mich dann einen langen Flur entlang, und als wir vor der Tür standen, drehte sie sich zu mir um und sagte: ›Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn noch einige Studenten teilnehmen, oder?‹ Was sollte ich sagen? ›Aber nein‹, sagte ich. Ich trat ein, und es richteten sich neun Augenpaare auf mich. Neun! Alles in allem achtzehn Augen.
    Wenn mir diese Vorzimmerdame gesagt hätte, daß neun Leute in diesem Zimmer sein würden, wäre ich auf der Stelle gegangen. Aber nun war ich einmal da, und es war zu spät. Na ja, und an diesem speziellen Tag trug ich zufällig einen Pelzmantel …«
    »Im August?«
    »Es war ein kalter, nasser Tag, und ich dachte: bei meinem ersten Psychiater … – du weißt schon. Jedenfalls, während ich redete, ließ der Psychiater den Pelzmantel nicht mehr aus den Augen, und ich konnte genau sehen, was er dachte, als ich ihn fragte, ob ich die Studentenermäßigung bekäme und nicht das volle Honorar zahlen müßte. Ich konnte die Dollarzeichen in seinen Augen sehen. Also, ich erzählte ihm wer weiß was – von den entzündeten Füßen und dem Telefon in der Schublade und daß ich mich umbringen wollte, und schließlich sagte er, ich sollte doch bitte draußen warten, solange er meinen Fall mit den anderen bespräche, und als er mich wieder hereinrief, weißt du, was er da sagte?«
    »Was denn?«
    »Er faltete die Hände, sah mich an und sagte: ›Miss Gilling, wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß Ihnen eine Gruppentherapie guttun würde.«
    »Eine Gruppentherapie ?« Ich fürchtete schon, als Joans Echomüßte ich ziemlich unecht klingen, aber sie achtete nicht darauf.
    »Das hat er wirklich gesagt. Kannst du dir so was vorstellen: Ich will mich umbringen, und plötzlich sitze ich da und quatsche mit lauter fremden Leuten darüber, und den meisten von ihnen geht es kein bißchen besser als mir …«
    »Das ist verrückt.« Die Geschichte begann mich nun doch zu interessieren. »Das ist fast un menschlich.«
    »Das habe ich auch gesagt. Ich bin nach Hause gefahren und habe diesem Doktor einen Brief geschrieben. Einen saftigen Brief habe ich ihm geschrieben, einer wie er sollte gefälligst nicht so tun, als könnte er kranken Leuten helfen …«
    »Hast du eine Antwort bekommen?«
    »Ich weiß nicht. Es war der Tag, an dem ich von dir las.«
    »Wie meinst du das?«
    »Oh«, sagte Joan, »daß die Polizei glaubte, du seist tot und so weiter. Irgendwo habe ich einen ganzen Packen Zeitungsausschnitte.« Sie rappelte sich hoch, und mit ihr erhob sich eine stark nach Pferd riechende Duftwolke, die mir in der Nase kitzelte. Joan hatte beim alljährlichen Sportfest im College das Springreiten gewonnen, und ich fragte mich, ob sie letzte Nacht in einem Stall geschlafen hatte.
    Joan kramte in ihrem offenen Koffer und zog eine Handvoll Zeitungsausschnitte hervor.
    »Hier, sieh sie dir an.«
    Der erste Ausschnitt zeigte ein großes Bild, eine Vergrößerung von einem Mädchen mit schwarz umschatteten Augen und schwarzen, zu einem Grinsen verzogenen Lippen. Ich hatte keine Ahnung, wo so ein geschmackloses Bild aufgenommen worden sein konnte, bis mir die Bloomingdale-Ohrringe und die Bloomingdale-Kette auffielen, die als helle Glanzpunkte daraus hervorleuchteten wie nachgemachte Sterne.
    COLLEGE-STUDENTIN VERMISST . MUTTER BESORGT . In dem Artikel unter dem Bild hieß es, das Mädchen sei am17. August von zu Hause verschwunden, bekleidet mit einem grünen Rock und einer weißen Bluse, und habe eine Nachricht zurückgelassen, es wolle einen langen Spaziergang machen. Als Miss Greenwood bis Mitternacht nicht zurückgekehrt war , stand da, rief ihre Mutter bei der örtlichen Polizei an.
    Der nächste Ausschnitt zeigte ein Bild, auf dem meine Mutter, mein Bruder und ich zusammen hinter

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