Die Glasglocke (German Edition)
Vertrauen geschenkt, hatte ihr alles gesagt, und sie hatte hoch und heilig versprochen, mir vorher Bescheid zu sagen, falls ich noch einmal mit Elektroschocks behandelt werden würde.
Hätte sie es mir am Abend vorher gesagt, dann hätte ich zwar die ganze Nacht wach gelegen, ängstlich und voll böser Erwartungen, aber am Morgen wäre ich gefaßt und bereit gewesen. Mit der Würde eines Menschen, der sich mit seiner Hinrichtung abgefunden hat, wäre ich zwischen zwei Schwestern den Flur entlanggegangen, vorbei an DeeDee und Loubelle und Mrs. Savage und Joan.
Die Schwester beugte sich über mich und rief meinen Namen.
Ich wandte mich ab und drückte mich noch tiefer in die Ecke. Die Schwester verschwand. Ich wußte, sie würde im nächsten Moment mit zwei stämmigen Pflegern zurückkommen, und sie würden mich, während ich heulend um mich schlug, an den lächelnden Zuschauern vorbeitragen, die sich inzwischen im Aufenthaltsraum versammelt hatten.
Mrs. Nolan legte mir einen Arm um die Schulter und drückte mich wie eine Mutter.
»Sie hatten versprochen, es mir zu sagen !« schrie ich sie durch die über mir hängende Decke an.
»Aber ich sage es Ihnen doch!« sagte Mrs. Nolan. »Ich bin extra früh gekommen, um es Ihnen zu sagen, und ich bringe Sie jetzt selbst nach drüben.«
Ich blinzelte sie durch geschwollene Lider an. »Warum haben Sie es mir nicht gestern abend gesagt?«
»Ich dachte, dann würden Sie die ganze Nacht wachliegen. Wenn ich gewußt hätte …«
»Sie hatten versprochen , es mir zu sagen.«
»Hören Sie, Esther«, sagte Mrs. Nolan. »Ich gehe jetzt mit Ihnen. Ich werde die ganze Zeit dableiben, und alles wird so ablaufen, wie ich es versprochen habe. Ich werde dort sein, wenn Sie aufwachen, und bringe Sie wieder zurück.«
Ich sah sie an. Sie schien sehr aufgeregt.
Ich wartete einen Augenblick. Dann sagte ich: »Versprechen Sie mir, daß Sie dort sein werden!«
»Ich verspreche es.«
Mrs. Nolan zog ein weißes Taschentuch hervor und wischte mir damit über das Gesicht. Dann hakte sie mich wie eine alte Freundin unter, half mir auf, und wir machten uns auf den Weg durch den Flur. Die Decke schlackerte mir um die Füße, deshalb ließ ich sie fallen, aber Mrs. Nolan schien es nicht zu bemerken. Unterwegs begegneten wir Joan, die gerade aus ihrem Zimmer trat, und ich warf ihr ein vielsagendes, verächtliches Lächeln zu, worauf sie zurückfuhr und wartete, bis wir vorüber waren.
Am Ende des Flurs schloß Mrs. Nolan eine Tür auf und führte mich eine Treppe hinunter in die geheimnisvollen Kellerkorridore, die in einem verwickelten Netz von unterirdischen Tunneln die verschiedenen Gebäude der Klinik miteinander verbanden.
Die Wände waren strahlend weiß gekachelt, und in regelmäßigen Abständen hingen nackte Glühbirnen unter der schwarzen Decke. Liegen und Rollstühle standen hier und da zusammengeschoben an den rauschenden, klopfenden Rohrleitungen, die wie Nervenstränge an den glitzernden Wänden entlangliefen und sich verzweigten. Wie eine Tote hing ich an Mrs. Nolans Arm, und immer wieder drückte sie mir ermutigend die Hand.
Schließlich blieben wir vor einer grünen Tür stehen, auf der in schwarzen Buchstaben »Elektrotherapie« stand. Ich hielt inne, und Mrs. Nolan wartete. Dann sagte ich: »Bringen wir es hinter uns«, und wir traten ein.
Außer mir und Mrs. Nolan waren nur noch ein bleicher Mann in einem abgetragenen kastanienbraunen Bademantel und die Schwester, die ihn begleitete, in diesem Wartezimmer.
»Wollen Sie sich setzen?« Mrs. Nolan zeigte auf eine Holzbank, aber die Beine waren mir schwer geworden, und ich dachte daran, wie schwer es mir fallen würde, mich nachher wieder aufzurichten, wenn die Leute von der Schockbehandlung kamen.
»Ich bleibe lieber stehen.«
Schließlich kam von der anderen Seite eine große, leichenblasse Frau in einem weißen Kittel herein. Ich dachte, sie würde den Mann im kastanienbraunen Bademantel holen, weil er vor mir dagewesen war, und war überrascht, als sie auf mich zukam.
»Guten Morgen, Frau Doktor«, sagte die Frau und legte mir einen Arm um die Schultern. »Ist das Esther?«
»Ja, Miss Huey. Esther, das ist Miss Huey, sie wird sich um Sie kümmern. Ich habe ihr schon von Ihnen erzählt.«
Es kam mir vor, als müßte die Frau über zwei Meter groß sein. Freundlich beugte sie sich über mich, und ich konnte sehen, daß sich die Akne früher mal tief in ihr Gesicht gegraben hatte. Um den Mund mit den vorstehenden
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