Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Gesandten, und als Konsequenz die Absetzung dieses gewissen Carissimi empfahl, mit dem Hinweis, er gehe emotional, ängstlich und nachlässig mit seiner Verantwortung als Visitator um. Die Sicherheit der Konzilsteilnehmer sei weiterhin gefährdet. Er bitte untertänigst, selbst die Ermittlungen übernehmen zu dürfen. Ansonsten, schrieb er, und das war das Beruhigende, gehe alles nach Plan.
Alles nach Plan. Etwas anderes hatte Julius auch nicht erwartet. De Soto war im höchsten Maße fähig, sonst hätte er ihm nicht den brisantesten Auftrag anvertraut, den er zu vergeben hatte. De Soto tat sein Möglichstes, während dieser Carissimi töricht genug war, um den Kaiser zu verärgern und damit ihn, den Papst, in Bedrängnis zu bringen. Carissimi wurde durch seine Unfähigkeit zu einem gefährlichen Menschen, und für gefährliche Menschen gab es in seinen Augen nur zwei sichere Plätze auf Erden: den römischen Kerker und den Friedhof.
Er spürte, wie die Dämonen kamen, hässliche Gefühle, denen es immer mal wieder gelang, Gewalt über ihn zu bekommen. Dann gefiel es ihm, anderen Menschen wehzutun, selbst denen, mit denen er sonst lachte. Carissimi, das war nur ein Wort. Ihn zu zerstören war nichts, womit man sich lange aufhielt.
»Ich muss gleich einen liebenswürdigen Entschuldigungsbrief an den Kaiser schicken«, sagte Julius zähneknirschend zu Numerio. »Und danach schicke ich einen Haftbefehl nach Trient.«
Massa hatte ihm zwischenzeitlich die rote Soutane angezogen und schloss die letzten der achtundvierzig Knöpfe. Normalerweise hatte eine päpstliche Soutane dreiunddreißig Knöpfe, entsprechend der dreiunddreißig Lebensjahre Jesu. Doch Julius’ Leibesumfang hatte eine Erweiterung nötig gemacht. Nun legte Massa ihm die Mozzetta um, den kurzen, bis zu den Oberarmen reichenden Umhang.
»Massa«, sagte Julius. »Was ist mit der anderen Botschaft? Gib sie mir.«
Massa überreichte sie ihm. »Von Kardinal del Monte«, sagte er.
Julius schloss erleichtert die Augen und schickte ein Gebet zum Himmel. Das Schreiben stammte vom frühen Morgen dieses Tages. Innocento war unversehrt, es ging ihm gut, also war alles nur ein böser Traum gewesen. Andererseits, vielleicht war der Traum ein Blick in die Zukunft …
Innocento legte ein gutes Wort für Carissimi ein. Er schrieb, Carissimi habe ihm vor einigen Tagen das Leben gerettet, daher vertraue er ihm und bitte darum, dass er, Julius, ihm ebenfalls vertraue. Im Übrigen, schrieb er, verlaufe alles nach Plan.
»Der Bote des Kardinals«, fügte Massa hinzu, »überbrachte noch eine Neuigkeit, die erst kurz bevor er seinen Ritt antrat bekannt wurde. Es geht um den Inquisitor von Sevilla, Eure Heiligkeit. Er wurde ermordet aufgefunden.«
Massa legte ihm, ohne Anzeichen einer inneren Regung, das Pectorale, das Brustkreuz, um. Julius umklammerte es sogleich heftig, als wäre es der letzte ihm verbleibende Wetteinsatz.
Cespedes! Was, in Gottes Namen, ging in Trient eigentlich vor? Jeder schrieb ihm, alles laufe nach Plan, und dennoch hatte er das Gefühl, als laufe gar nichts mehr nach Plan, als sei durch die Morde alles außer Kontrolle geraten, das ganze – wie de Soto es genannt hatte – Spiel. Inwieweit hingen diese Morde mit dem »Spiel« zusammen? Innocento, de Soto, Madruzzo, Carissimi: Wem konnte er bei diesem gigantischen Einsatz noch vertrauen? Es ging um nicht weniger als den Fortbestand und die Macht des Stuhls Petri.
Zwei Briefe, zwei gegensätzliche Ratschläge, einer von einem geachteten, der andere von einem geliebten Menschen.
Ein Königreich für Salomons Weisheit.
Julius schlüpfte in die Campagi, die Kalbslederschuhe.
»Ein Eilbote nach Trient«, sagte er zu Numerio. Und zu Massa: »Bereite meine Abreise vor.«
Die Leiche lag verdreht auf dem Steinfußboden, nackt bis auf ein Tuch, das der Arzt wie schon bei Bertani über den Schambereich gelegt hatte. Hatte Bertani sogar noch im Tod derb und kämpferisch gewirkt, so machte dieser Prälat einen eher – Sandro fiel nur dieses Wort ein – annehmenden Eindruck. Sandro meinte, auf seinen Lippen den Anflug eines Lächelns zu sehen, aber diese Schlussfolgerung war sehr gewagt, denn der Mund war blutverschmiert, und überhaupt war überall Blut.
Er schloss Cespedes’ Augen, obwohl sie keineswegs entsetzt oder verzweifelt wirkten, nicht so, wie man sich den Blick eines mit dem Tode ringenden Mannes vorstellt. Im Gegenteil, sie sahen sanft aus, als wäre das Letzte, das sie gesehen
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