Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Tod. Aber der Spiegel der Realität ist nicht die Realität selbst, und den Tod zu porträtieren ist etwas anderes, als ihn anzuschauen, wenn er seine Maske gelüftet hat. Hier war der Tod in seiner schrecklichsten Art: Das, was diesen Körper warm und lebendig gemacht hatte, war herausgelaufen und hüllte ihn nun von außen ein. Er war plötzlich gekommen, der Tod, ohne Vorbereitung, ohne die Gnade eines Abschieds. Dort drüben war das Bett, in dem der Inquisitor sich gewärmt hatte, in dem er gebetet, geträumt, gehofft, Pläne geschmiedet hatte, und im nächsten Augenblick war alles von fremder Hand zunichtegemacht worden. Es lag etwas Unheimliches in einem Tod, der von fremder Hand gebracht wird. Die göttliche Ordnung war durchbrochen. Gott war abwesend. Ja, so war es. Mord, das war die Abwesenheit Gottes.
Sie würde das bei künftigen Fenstern berücksichtigen.
Ihre Stirn berührte Sandros Schulter. So nah war sie ihm noch nie gekommen, fast berührte sie das Kinn, den Adamsapfel. Seine Haut hatte im Laufe der Jahre den Geruch der Kutte angenommen, und die Kutte roch nach Myrrhe, dem Duft der Kathedralen. Sie spürte seine Brust, die Rippen, den Muskel, der in die Achselhöhle führt, den Herzschlag. An seiner Schläfe pochte eine kleine Ader. Antonia wurde ruhig in seinen Armen. Sie wurde ruhig, obwohl kein Glas in der Nähe war, obwohl eine Leiche neben ihnen lag. Sandros Umarmung war nicht fest, war die Berührung eines Menschen, der etwas Begehrtes und zugleich Gefährliches anfasst.
Er war ein bisschen größer als sie und blickte auf sie hinab. »Ihr müsst gehen«, sagte er.
»Nein.« Sie wollte nicht fortgehen. »Erzählt mir etwas über den Fall«, sagte sie.
»Wozu?«
»Ich will Carlotta helfen. Ich will Euch helfen. Darum bin ich gekommen.«
»Das dachte ich mir«, sagte er. »Aber das geht nicht. Ab heute ist jeder in Gefahr, der mir hilft.«
»Ich fürchte mich nicht.«
»Es gibt Millionen furchtloser Menschen, die vorzeitig auf dem Friedhof verscharrt wurden.«
»Wenn das so ist, wird mein Grab bereits ausgehoben. Ich stecke mittendrin in Eurer Untersuchung, habe die dreckige Wanne gesehen und das zerwühlte Bett und die Leiche. Wie alle Künstler bin ich eine gute Beobachterin. Ich will es, Sandro Carissimi. Und Ihr wollt es auch, sonst hättet Ihr mich nicht hereingelassen. Ihr wollt mich teilhaben lassen an dem, was Euch beschäftigt.«
Es folgte das längste Schweigen, das sie jemals in der Gesellschaft eines Mannes erlebt hatte. Sie sah ihn nicht an, er sollte in Ruhe überlegen. Stattdessen sah sie zu den Fenstern, die mit weltlichen Motiven bemalt waren. Stumm tanzten und zechten die Figuren darauf, allesamt kurz davor, sich zu lieben. Eine Frau berührte ihr eigenes Kleid an der Schulter, als wolle sie es sich im nächsten Moment abstreifen; eine andere saß auf der Kante eines Tisches wie auf der Kante eines Bettes, bevor man sich schlafen legt; eine dritte umschloss mit der Hand eine brennende Kerze und verzog den Mund wie bei einem erotischen Erlebnis.
Sandro sah sie an. Wie viele Frauen hatte er mit diesen Augen angesehen? Wie viele Frauen umgarnt, umarmt? Es waren gewiss nicht wenige gewesen. Solch einen Ausdruck hatte man nur in den Augen, wenn man ihn schon tausendmal erprobt hatte. In seiner Jugend war Sandro Carissimi gewiss ein Frauenheld gewesen, eine männliche Dirne, er war wie Carlotta gewesen und wie sie, Antonia.
»Cespedes«, sagte er nach einer kleinen Ewigkeit, »wurde auf die gleiche Weise wie Bertani getötet. Doch das Symbol auf der Haut fehlt. Ich frage mich, wieso? Dass es zwei verschiedene Täter waren, glaube ich nicht, denn dann müsste der zweite Täter wissen, wie der erste Täter vorgegangen war. Nur wenige waren exakt informiert, wie Bischof Bertani ermordet wurde.«
»Vielleicht«, sagte sie, »gibt es nicht zwei verschiedene Täter, sondern zwei verschiedene Motive.«
Er sah sie an, als habe sie ein Geheimnis gelüftet.
»Ich bin klug, nicht wahr?«, sagte sie lächelnd.
»Ja.« Ein Moment verstrich, in dem er sich nicht bewegte. Dann löste er sich von ihr, so als treibe ein Wind ihn in eine andere Richtung, und seine Augen nahmen wieder jenen undurchdringlichen Ausdruck an.
»Es gibt ein Bett«, sagte er, »in dem zwei Männer lagen, eine Wanne, in der ein schmutziger Mensch gebadet hat, eine Stichwunde, die dazu führte, dass Cespedes, wie schon Bertani vor ihm, an seinem Blut erstickte.«
»Und«, fügte sie hinzu, »es gibt ein
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