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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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die am Horizont verschwanden, deren Ziele jedoch auf Schildern beschrieben wurden, Schilder, auf denen stand: Enttäuschung, Liebe, Verlust, Rache, Kummer, Erfolg … Antonia spürte einen solchen Augenblick, als sie mit Sandro einen Blick tauschte. Je nachdem, wie er reagieren, was er antworten würde, würde ihr Leben den einen oder den anderen Verlauf nehmen.
     
    Kastell Ferrara
    Papst Julius III. war an diesem Vormittag wortkarg. Eigentlich liebte er die lauten Vergnügungen und die Fröhlichkeit. Beim melodischen Zusammenspiel zweier Mandolinen, beim Anblick einer tanzenden Frau oder beim ersten Glas Rotwein ging ihm das Herz auf. Stille und Schweigen dagegen waren ihm unheimlich. Morgens rief er gleich nach Freunden, Verwandten oder Untergebenen, um nicht allein zu sein, und verbrachte den ganzen Tag in Gesellschaft. Lachen, das war das Wichtigste. Wenn er lachte, blieben die Dämonen fern.
    An diesem Morgen war er allein, denn vergangene Nacht hatte er schlecht geschlafen. Manchmal war zu viel Wein der Grund oder auch schweres Essen. Nicht so dieses Mal. Da hatte er einen üblen Traum gehabt, in dem er seinen Sohn, aus einer Wunde blutend, am Boden liegen gesehen hatte. Innocento hatte geschrien. Sie hatten beide geschrien, Innocento und er, ihre Schreie waren verschmolzen. Schauderhaft. Dann hatte er sich an einem Pfosten des Bettes festgehalten und schwer geatmet, er wusste nicht mehr, wie lange. Schließlich war er aufgestanden, hatte sich einen Mantel übergeworfen und war mitten in der Nacht zur Kapelle auf der anderen Seite des Ferrareser Kastells geeilt, begleitet nur vom zackigen Salutieren der Schweizergarde. In der Kapelle hatte er so intensiv gebetet, dass er sich hinterher nicht erinnern konnte, überhaupt jemals so leidenschaftlich gebetet zu haben. Sogar sein persönlicher Sekretär, Bruder Massa, der ihm nachgeeilt war, war beunruhigt.
    »Braucht Ihr etwas, Eure Heiligkeit?«, hatte er gefragt.
    »Gott«, hatte er geantwortet, ohne nachzudenken.
    Die Nacht war längst vorbei, aber ihr Schatten war noch nicht gewichen. Als er aus dem Fenster in den trüben Morgen des Hofes blickte, wo zwei Boten mit versiegelten Schriftrollen in den Händen fast gleichzeitig einritten, klopfte sein Herz heftig.
    »Massa«, rief er.
    Die Tür öffnete sich sofort, so als stünde Bruder Massa den ganzen Tag dort vor der Tür und warte auf einen Ruf seines Herrn. Julius fand Bruder Massa hündisch, genau deswegen vertraute er ihm.
    »Eure Heiligkeit wünschen.«
    »Da sind zwei Botschaften angekommen. Ich will sie ohne Verzögerung erhalten.«
    Bruder Massa verneigte sich tief, so als hinge sein Leben davon ab, und schloss die Tür wieder.
    Julius stellte sich den Weg der Botschaften vor. Ein Schweizergardist nahm sie in Empfang und überbrachte sie dem Wachoffizier vom Dienst. Dieser verzeichnete ihren Eingang, gab sie dem Gardisten zurück und schickte ihn auf den Weg. Der Gardist stieg die Treppe in den oberen Stock, wo Julius Quartier bezogen hatte, dort überreichte er sie dem Bruder Pförtner, der hinter einem Tisch saß und den lieben langen Tag nichts anderes tat, als Gegenstände in Empfang zu nehmen und – gemäß ihres Zielortes – an einen Mitbruder weiterzureichen. Die Botschaft gelangte dann in den Vorraum der privaten Papstgemächer, wo sich Bruder Massa, der persönliche Sekretär, und Bruder Numerio, der amtliche Sekretär, wie üblich darum stritten, in wessen Zuständigkeit die Botschaften fielen. Julius genoss ihre Rivalität. Sie gab ihm die Sicherheit, dass keiner von ihnen zu mächtig wurde.
    Er erriet nahezu perfekt den Zeitpunkt, an dem die Botschaften die letzte Hürde überwunden und bei ihm angekommen sein würden. Jetzt, dachte er, blickte zur Tür – und da öffnete sie sich auch schon. Die beiden Sekretäre eilten – jeder mit einer Schriftrolle in Händen – herein.
    Bruder Numerio, ein flinker Mensch, war einen Schritt schneller und bot Julius die Rolle in der ausgestreckten Hand dar. »Von Luis de Soto, Eure Heiligkeit. Der Bote sagte, er sei gestern Abend damit aufgebrochen.«
    Alles, was de Soto schrieb, fiel in diesen Tagen unter strenge Geheimhaltung, daher öffnete Julius die Botschaft selbst, während Massa die Gewänder holte, um mit dem Ankleiden zu beginnen. Der Inhalt war beruhigend und beunruhigend zugleich. Beunruhigend, weil de Soto die turbulenten Ereignisse des gestrigen Tages in Trient schilderte, gipfelnd in der Verhaftung und Freilassung eines deutschen

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