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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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haben, etwas Schönes gewesen, etwas Göttliches vielleicht oder etwas, das in Cespedes’ Leben dieselbe Bedeutung wie das Göttliche eingenommen hatte. Sandro sprach ein stilles Gebet. Er fühlte sich mitschuldig am Tod dieses Mannes.
    »Nahezu identisch mit der ersten Tat«, sagte der Arzt. »Derselbe Stich, dieselbe Art von Waffe, derselbe Tod. Erstickt am eigenen Blut.«
    Der Arzt hatte alle Unsicherheit, die er noch vor wenigen Tagen ausgestrahlt hatte, verloren. Keine Schweißperlen auf der Stirn, keine unnötigen Verbeugungen, kein Gestammel. Stattdessen schnörkellose, präzise, fast ein wenig widerwillig erklärte Angaben. »Todeszeitpunkt zwischen sechs und neun Uhr.«
    »Geht es noch genauer?«, fragte Sandro, erntete jedoch nur eine hochgezogene Augenbraue und Schweigen.
    »Ihr werdet niemanden finden, der Euch eine genauere Zeit nennen kann«, sagte der Arzt fast beleidigt. »Übrigens weise ich nochmals darauf hin, dass es sich um eine von Frauen bevorzugte Waffe handelt, die hier zur Anwendung kam.«
    »Vorhin erwähntet Ihr, dass dieser Mord nahezu identisch mit dem ersten ist. Was meintet Ihr mit nahezu?«
    Der Arzt tauschte einen Blick mit Sandro, bevor er anfing, seine Utensilien unnötig hektisch in ein Tuch zu wickeln und in dem mitgebrachten Beutel zu verstauen. »Nirgendwo«, sagte er nach einer kleinen Weile, die gerade noch diesseits der Grenze zur Unhöflichkeit lag, »nirgendwo war das Symbol auf der Haut zu finden, das bei Bischof Bertani eingeritzt war. So, meine Arbeit ist getan«, sagte er und schnürte den Beutel zu.
    Sandro begriff natürlich, was hier vorging. Das provokative Verhalten des Hauptmanns, die Mahnung des Fürstbischofs und der allzu kurz angebundene Arzt: Er war nicht länger ein Erzengel, er war eine Pest. Gestern noch hatte man sich vor ihm gefürchtet, weil man in ihm den Vertrauten des Heiligen Vaters sah, heute fürchtete man sich vor ihm, weil man in ihm den in Ungnade gefallenen Diener des Heiligen Vaters sah, und vor solchen Menschen musste man sich hüten, damit man bei ihrem Untergang nicht mitgerissen wurde.
    » Ich habe es eilig «, sagte er Arzt. »Den Leichnam lasse ich sofort abholen.«
    »Nein«, widersprach Sandro. »Ich brauche eine Stunde für meine Besichtigung hier vor Ort und möchte nicht gestört werden.«
    »Die Träger warten bereits draußen in der Kälte.«
    »Sie mögen weiter warten«, sagte er betont kühl, eine Stimmlage, die ihm im Grunde gar nicht lag. Aber er musste das letzte bisschen Autorität einsetzen, das ihm sein Titel verlieh, sonst könnte er gleich kapitulieren.
    Als er allein war, sah er sich im Quartier um. Es war ganz anders als das von Bertani, bunt und mit Stoffen verkleidet. Die Fenster waren bemalt mit weltlichen Motiven, mit Tänzen, Festen und Gelagen, mit fröhlichen Augenblicken eines Lebens, die sich wie zum Hohn um die Leiche herumdrängten. Sandro begann mit dem Schreibtisch, einem Vorbild an Ordnung. Alle Papiere waren exakt in der gleichen Richtung arrangiert, so als läge ihrer Anordnung irgendeine architektonische Notwendigkeit zugrunde. Mittendrin leuchtete, rot und in der Mitte gebrochen wie eine versinkende Sonne, das Siegel des Kaisers. Der dazugehörige Brief oder das Dokument fehlte jedoch. Brisante Schreiben vernichteten kluge Menschen sofort.
    Die zerwühlten Decken wiesen unübersehbar auf eine Liebesnacht hin. Auffällig war die unterschiedliche Farbe und Länge der Haare auf den Kissen: Lange, schwarze Haare, die zweifellos Cespedes gehörten, wie Sandro feststellte, als er einen Blick auf die Locken des Toten warf; kurze braune Haare, so kurz und zahlreich, dass sie nicht einer Frau gehören konnten. In diesem Bett hatte ein Mann neben Cespedes gelegen.
    Wo waren die Gemeinsamkeiten von Bertani und Cespedes? Der eine liebte Frauen, der andere Männer, der eine war Reformer, der andere Konservativer, der eine derb und rustikal, der andere mild und elegant, der eine Italiener, der andere Spanier. Nur ihre Abneigung gegen das Zölibat verband sie. Wenn dies das Motiv des Täters war, musste es sich um einen Menschen handeln, der die Moral hochhielt, ja, über alles stellte. Aber war es das Motiv? Wieso hatte der eine ein Symbol in die Haut geritzt bekommen, der andere jedoch nicht?
    Ein Geräusch im hinteren Teil des Quartiers lenkte Sandro ab. Auf Zehenspitzen schlich er durch das Schlafgemach, einen Ankleideraum und ein Bad. Eine Wanne war noch mit dem gebrauchten Badewasser gefüllt, so

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