Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
schmutzig, dass gepflegte Personen wie Cespedes oder Carlotta da Rimini nicht dafür verantwortlich sein konnten.
Wieder hörte er das Geräusch, ein Laut, als würde eine Katze an irgendetwas kratzen. Sandro bemerkte eine schmale Tür, dahinter eine enge und steile Treppe, die nach unten führte. Sie endete vor einer weiteren Tür, durch deren Bodenritze die Geräusche Trients drangen. Jemand versuchte, von draußen in das Quartier einzudringen. An der Wand hing ein Schlüssel. Sandro steckte ihn ins Schloss und riss die Tür auf.
Vor ihm stand, gebückt und mit einer Haarnadel in Händen, Antonia.
Sandro hatte Carlotta verschont, also konnte Antonia ihn weiterhin mögen. Sie hatte sich nicht in ihm getäuscht. Er war kein Verbrecher, kein Inquisitor, kein Schwächling, der nachgab, wenn es schwierig wurde. Er war stark, stärker als andere, auch wenn er nicht diesen Eindruck machte. Der Held kämpfte leise. Kämpfte gegen die erlernte Unterordnung, gegen den Drang, gefallen zu wollen. Gegen sie.
Er hatte kein Wort über das Fenster verloren während des Vormittags nur das Notwendigste mit ihr gesprochen. Und was tat er nun? Dasselbe. Er drehte sich um und ging schweigend in das Quartier.
Sie folgte ihm, und sie folgte der Blutspur, die der Mörder von Trient hinterließ. Es ging um nicht weniger als um Carlottas Leben und um das Glück von Hieronymus.
»Ich habe eigentlich durch den Haupteingang kommen wollen«, erklärte sie. »Die Wache hat mich nicht durchgelassen. Also bin ich um das Haus geschlichen und habe diesen Dienstboteneingang gefunden. Soll ich die Tür wieder schließen?«
»Warum seid Ihr hier?«, fragte er, ohne innezuhalten.
»Ich will Euch danken.«
»Wofür?«
»Nicht jeder hätte Carlotta geglaubt, dass sie gestern Nachmittag und Abend einen Spaziergang an der Etsch gemacht hat. Ich bin froh, dass Ihr Carlotta ebenso vertraut, wie ich es tue.«
»Ich vertraue ihr nicht.«
»Wie bitte?«
»Ich sagte, ich vertraue ihr nicht. Ihre Geschichte ist unglaubwürdig. Sie war viel zu leicht bekleidet für einen Oktoberspaziergang. Nur ein Schal, kein Mantel. Außerdem ist gerade Weinlese, so dass jemand sie hätte sehen müssen. Sie war woanders, will aber nicht sagen, wo. Deswegen habe ich angeordnet, sie noch in Haft zu lassen.«
»Aber Ihr sagtet im Gefängnis, dass Ihr sie nicht für die Mörderin von Bertani und Cespedes haltet. Das war kurz bevor Ihr wie eine Eidechse auf der Flucht davongerannt seid. So wie jetzt. Und damit schmeichle ich der Eidechse noch. Ihr seid viel schneller als sie.«
Er blieb mitten auf der Treppe ins Obergeschoss stehen und wandte sich halb zu ihr um. Er sah sie nicht an, als er sagte:
»Entweder handelte der Täter in kalter, vorausgeplanter Berechnung, oder er handelte in Panik. Beides erscheint mir bei Carlotta da Rimini nicht gegeben. Falls sie geplant hatte, Bertani zu töten, muss sie ein gutes Motiv gehabt haben. Gier? Nein, denn sie lässt die wertvollen Ringe zurück. Ein Auftragsmord? Wohl kaum, denn auch dann stiehlt man Ringe und anderes Wertvolle, um den Mord wie einen Raub aussehen zu lassen. Rache? Gut möglich, da wir nicht wissen, ob sie sich von früher kannten. Aber wieso dann der Mord an Cespedes? Falls sie hingegen in Panik handelte – was plausibel wäre, denn Bertani wurde grob zu ihr -, hätte sie ihre Waffe mit einer unglaublichen Präzision zwischen die Schulterblätter des Bischofs stoßen müssen. Für jemanden, der sich panisch wehrt, ist das eher unwahrscheinlich. Doch selbst wenn ich davon ausgehe, dass es so war: Wieso ritzt sie ein Symbol in die Haut des Opfers? Wäre ich in Panik, würde ich sehen, dass ich wegkomme. Doch bei ihrem zweiten Mord, den sie folglich geplant hätte, nimmt sie sich nicht diese Zeit. Das alles passt nicht zusammen. Es spricht mehr gegen ihre Täterschaft als dafür.«
»Sieh mal an«, sagte sie. »Ihr seid intelligent.«
Er stieg, scheinbar wenig beeindruckt von ihrem Kompliment, weiter die Treppe hinauf, eilte durch das Badezimmer in den Ankleideraum, und sie folgte ihm.
Als Antonia den von einem blutroten Kranz umgebenen Körper des Inquisitors von Sevilla auf dem Boden sah, schlug sie die Hände vors Gesicht und taumelte gegen Sandro. Sie hatte noch nie einen Toten gesehen, der in seinem Blut lag. Als Künstlerin war sie es gewöhnt, den Tod darzustellen, ja, er war ihr Mitspieler in der Glasmalerei, ihr Vertrauter. Sie hatte – so formulierte sie es manchmal – eine Begabung für den
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