Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
niemand mehr im Dom sitzt, weil alle erstochen in ihren Betten liegen?«
»Ich werde Hauptmann Forli beauftragen, vor jedem Quartier eines Geistlichen eine Wache zu postieren.«
»Das habe ich bereits veranlasst. Werdet Ihr die zweifelhafte Frauensperson nun peinlich befragen oder nicht?«
»Peinliche Befragungen führen immer zu einem Geständnis, aber nicht immer zur Wahrheit.«
»Diese Weisheit könnt Ihr gerne dem Heiligen Vater persönlich mitteilen, wenn er nach Trient kommt.«
Sandro erstarrte. »Seine Heiligkeit kommt – hierher?«
»Vielleicht.«
»Von Rom bis Trient dauert es mit einer Kutsche mindestens fünf Tage, eher sieben oder acht. Bis dahin …«
»Der Papst befindet sich nicht in Rom«, korrigierte Madruzzo. »Julius III. weilt bereits seit einigen Tagen in Ferrara, eine Tagesreise von hier, die mit frischen Pferden und bei trockener Witterung in wenigen Stunden zu schaffen ist. Ich überlasse es Eurem Rest von Verstand, eigene Schlüsse aus dieser Tatsache zu ziehen.«
Falls der Papst nach Trient käme, wäre Sandro dessen Willen ausgeliefert, dann gäbe es kein Für und Wider mehr, keine behutsame Wahrheitssuche. Im besten Fall wäre er Befehlsempfänger, der im Namen Julius III. tun musste, was immer ihm gesagt wurde, im schlimmsten Fall vielleicht selbst Ziel einer Untersuchung.
»Mir würde ein Besuch auch nicht behagen«, sagte Madruzzo, »denn ich müsste dem Heiligen Vater gegenüber begründen, wieso ich Euch berufen habe. De Soto dagegen ist fein heraus. ich bereue bereits, neulich seinen Vorschlag abgelehnt zu haben, ihn zum Visitator zu ernennen.«
Sandro runzelte die Stirn. »Wie? Ich dachte, Bruder de Soto hat mich vorgeschlagen.«
»Hat er auch. Aber zunächst bestand er darauf, selbst zu ermitteln. Da er jedoch für das Konzil als einer der wichtigsten Verhandlungsführer des Papstes vorgesehen war – und der Tote ein Gegner des Papstes war -, hielt ich es für angebracht, die zweitbeste Lösung zu wählen – die sich nun als schlechte Lösung entpuppt.«
Luis hatte nicht erwähnt, dass er selbst die Ermittlungen hatte führen wollen.
Sandros Schläfen pochten. Er war müde, er war verwirrt und verunsichert. Am liebsten hätte er sich in sein Bett verkrochen.
Der Fürstbischof hatte plötzlich wenig Mühe aufzustehen. Er trat dicht an Sandro heran und flüsterte: »Wir brauchen Ergebnisse, Bruder Carissimi, und zwar schnell. Ihr braucht sie – ich brauche sie. Wenn Ihr sie mir nicht beschafft, werde ich nicht zögern, einen eigenen Weg einzuschlagen.«
14
»Was für ein hübscher Mann«, sagte Carlotta zu Antonias Verblüffung, kaum dass Sandro die Zelle verlassen hatte. »Ich kann gut verstehen, dass du von ihm begeistert bist. Hast du ihm das schon zu verstehen gegeben?«
»Wie kommst du denn auf eine solche Idee?«, rief Antonia.
»Liebes, mir kannst du nichts vormachen. Ich sehe, wenn eine Frau sich zu einem Mann hingezogen fühlt.«
»Wir haben wirklich genug andere Probleme, als dass wir meine verworrenen Gefühle in einem Kerkerloch diskutieren müssten.«
»Deine verworrenen Gefühle sind momentan das Angenehmste in meinem Leben, und das Angenehmste hat man gerne um sich. Wie hat er reagiert?«
»Worauf?«
»Hast du ihn noch nicht angesprochen? Du, die Kleopatra von der Etsch? Die Verführerin par excellence?«
»Es ist nicht, wie du denkst. Gut, einiges an ihm finde ich reizvoll, beispielsweise seine Stimme, seine Augen, sein Schweigen... Ich habe ein Fenster von ihm gemacht, von ihm und – mir.«
»Liebes, nur du kommst auf die Idee, aus einem Haufen Scherben eine erotische Andeutung zu machen. Hatten die Scherben phallische Formen, oder wie?«
»Ich sagte doch: So ist es nicht.«
»Wie ist es denn?«
»Ich weiß nicht – anders.«
»Wer hätte das gedacht? Du liebst ihn.«
»Nein!«, rief Antonia temperamentvoll. Und dann leiser: »Nein, ich liebe Matthias. Genug davon: Carlotta, wir müssen über dich sprechen.«
Carlotta hielt die Tränen zurück und wandte sich ab. »Ich will aber nicht über mich sprechen, das ist unerquicklich. Ich will lachen. Was ist amüsanter, als wenn ein schüchterner Mönch und eine mannstolle Künstlerin aufeinandertreffen? Man sollte ein Theaterstück darüber schreiben. Es hätte gewiss großen Erfolg.«
»Wieso hast du gelogen?«, fragte Antonia, entschlossen, das Thema zu wechseln.
»Wieso lügt man! Weil man nicht will, dass jemand die Wahrheit erfährt. Wenn ich dir vor einigen Tagen gesagt hätte,
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