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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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dass ich in der Nacht seiner Ermordung bei Bertani war, hätte mich das verdächtig gemacht und du wärst auch in die Sache hineingezogen worden.«
    »Diese Lüge meine ich nicht.«
    »Zum Rätseln bin ich nicht aufgelegt. Sag genau, was du willst, dann kriegst du es auch.«
    »Das Symbol, Carlotta! Als Sandro es dir gezeigt hat, hast du ganz kurz geblinzelt. Das hast du auch gemacht, als du mich wegen Bertani angelogen hast.«
    »Dein Mönch hat mir geglaubt.«
    »Was hat es mit diesem Wappen ohne Inhalt auf sich?« Carlotta lehnte sich gegen die schmutzige Zellenwand. Ihre Finger verkeilten sich ineinander. »Das Symbol der ehrlosen Frauen, der Huren. Früher, vor Hunderten von Jahren, wurden von aufgebrachten Bürgern Hurenhäuser damit gekennzeichnet, und Huren, die man aus der Stadt vertrieb, erhielten vorher das leere Wappen auf die Brüste gebrannt. Dann, vor ungefähr siebzig Jahren, kehrte eine Hure den Spieß um, erstach einige ihrer Peiniger und hinterließ das Symbol auf der Haut ihrer Opfer. Sie wurde gefasst und hingerichtet, als von Dämonen besessen verbrannt. Seither wird das leere Wappen von allen Huren als ihr Symbol schlechthin angesehen, nicht nur in Rom. Ich habe von Huren gehört, die es auch in Florenz, Genua, Venedig und Neapel gesehen haben, und angeblich soll es man auch in Frankreich, Spanien und Süddeutschland kennen.«
    Carlotta ergriff Antonias Hände. »Verstehst du, wieso ich lügen musste? Da dein Mönch mich nach dem Symbol gefragt hat, nahm ich an, es hätte etwas mit dem Mord an Bertani zu tun.«
    »Es war auf seiner Haut eingeritzt.«
    »Du darfst deinem Mönch nichts über das Symbol erzählen. Wenn du das tust, bin ich verloren.«
    »Deine Offenheit könnte ihn überzeugen, dass du nichts zu verbergen hast.«
    »Nein, nein, nein«, sagte Carlotta und lief einige Male auf und ab. »Du verstehst das nicht, Liebes. Wenn sie erfahren, was es damit auf sich hat, werden sie mich nicht als normale Mörderin, sondern als Besessene behandeln. Sie werden mir zuerst den Teufel aus dem Leib foltern und mich anschließend verbrennen oder auf ewig in einem Verlies einsperren. Und dann holen sie Inés.«
    »Das glaube ich nicht«, rief Antonia erschreckt. »Sandro würde so etwas Niederträchtiges nie tun.«
    »Er wird!«
    »Er mag Inés. Er hat mit ihr gesprochen, sie zum Lächeln gebracht. Wenn er ihr etwas antäte – oder dir -, wäre er ein Verbrecher.«
    »Und andernfalls ein Dummkopf. Das ist die Alternative, die er hat. Täter oder Opfer. Und meine Alternative heißt: Mörderin oder Besessene. Da will ich lieber eine Mörderin sein.«
    »Du bist unschuldig.« Sie stürzte sich in Carlottas Arme und hielt sie ganz fest. Eng umschlungen standen sie beieinander, die Tränen berührten sich.
    »Niemand ist unschuldig, Liebes«, murmelte Carlotta. »Vielleicht werde ich vom Himmel für eine andere Sünde bestraft. Vielleicht bin ich ja in gewisser Weise eine Besessene.«
    Antonia verstand nicht, was Carlotta damit meinte. Offenbar hatte sie sich schon aufgegeben. »Ich werde deine Unschuld beweisen«, sagte Antonia.
    Carlotta lächelte wie eine sterbende Märtyrerin. »Wie willst du das anstellen, Liebes? Nein, das schaffst du nicht, du bringst dich höchstens in Gefahr. Ich bin seit vielen Jahren allein, und es ist besser, wenn ich weiterhin allein bleibe.«
    »Darüber hast du nicht zu entscheiden, Carlotta. Vergiss nicht, du bist gefangen. Du kannst nicht verhindern, dass ich dir helfe.«
    Als Sandro hereinkam, lösten sie sich langsam voneinander. Antonia merkte ihm an, dass er sich quälte. Von Stunde zu Stunde sah er schlechter aus.
    »Es hat vergangene Nacht einen zweiten Mord gegeben«, sagte er.
    Sie schwiegen eine Weile, und es war, als gehörten sie schon immer zueinander und teilten das gleiche Schicksal. Dann sagte Sandro: »Carlotta da Rimini, ich muss wissen, wo Ihr gestern Abend wart, bevor Ihr festgenommen wurdet.«
    Kam es Antonia nur so vor, oder dehnte sich die Zeit ins Unerträgliche, bis Carlotta antwortete.
    »Angenommen«, sagte sie, »es gäbe für meinen Aufenthaltsort keine Zeugen. Was wäre dann? Würdet Ihr mir glauben? Oder würdet Ihr mich …«
    Das Wort musste nicht ausgesprochen werden, es war da, so wie vieles andere da war, was man nicht fassen konnte. Antonias Mutter hatte ihr einmal gesagt, dass es im Leben eines jeden Menschen Augenblicke gebe, in denen man die Zukunft sehen konnte, nicht als Traum oder Vision, sondern eher als Weggabelung mit Wegen,

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